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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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auch beym Instinkte statt haben. -- Die Instinkte
ganzer Völker sind überhaupt äußerst schwer zu beur-
theilen; man weiß nicht, ob gefühltes Bedürfniß,
Ueberlieferung, Gewohnheit, Nothwendigkeit, Ge-
setzgebung, Religion, Erfahrung oder Vorurtheil den
größten Einfluß darauf haben; ob eben die Ursachen
welche Krankheiten von einer Art abwenden, nicht
Krankheiten von einer andern Art veranlassen. So
z. B. wohnen die pohlnischen und lithauer Juden in
niedrigen feuchten Orten, und sie saufen häufig den
Brandtwein, wie die ungarischen Hirten. Dadurch
werden zwar ihre schwammigen Körper fester gemacht,
und gegen die üblen Eindrücke der Sumpfluft einiger-
massen geschützet; allein dafür bekommen sie die Gicht,
das Podagra, den Weichselzopf, die schrecklichen
Verknorplungen der häutigen Eingeweide, die so ge-
nannte Schäferkrankheit. Die Krankheiten aller Völ-
ker geben hievon Beweise ab. -- In Lungenentzün-
dungen sehnen sich die meisten nach kaltem Wasser;
und dennoch wissen wir, daß so oft tödliche Eiterungen
auf dieses Verfahren folgen. Lungensüchtige, Leute,
deren Säfte sehr scharf sind, Kinder, welche Würmer
oder Schärfe haben, erschöpfte Buhler und Buhlerin-
nen, die krätzigen Neger, die Tripperpatienten,
die Selbstbeflecker haben alle einen heftigen Antrieb
zum Beyschlafe oder zu gewaltsamen Saamenentleerun-
gen, ohne daß man deßwegen je die Heilung dieser
Uebel davon erwartet hätte. Schlechtbeschaffene Frau-
enzimmer, deren schlappen Eingeweide von Säure
strotzen, lieben die Säuren oft ganz unsinnig; andere,

deren

auch beym Inſtinkte ſtatt haben. — Die Inſtinkte
ganzer Voͤlker ſind uͤberhaupt aͤußerſt ſchwer zu beur-
theilen; man weiß nicht, ob gefuͤhltes Beduͤrfniß,
Ueberlieferung, Gewohnheit, Nothwendigkeit, Ge-
ſetzgebung, Religion, Erfahrung oder Vorurtheil den
groͤßten Einfluß darauf haben; ob eben die Urſachen
welche Krankheiten von einer Art abwenden, nicht
Krankheiten von einer andern Art veranlaſſen. So
z. B. wohnen die pohlniſchen und lithauer Juden in
niedrigen feuchten Orten, und ſie ſaufen haͤufig den
Brandtwein, wie die ungariſchen Hirten. Dadurch
werden zwar ihre ſchwammigen Koͤrper feſter gemacht,
und gegen die uͤblen Eindruͤcke der Sumpfluft einiger-
maſſen geſchuͤtzet; allein dafuͤr bekommen ſie die Gicht,
das Podagra, den Weichſelzopf, die ſchrecklichen
Verknorplungen der haͤutigen Eingeweide, die ſo ge-
nannte Schaͤferkrankheit. Die Krankheiten aller Voͤl-
ker geben hievon Beweiſe ab. — In Lungenentzuͤn-
dungen ſehnen ſich die meiſten nach kaltem Waſſer;
und dennoch wiſſen wir, daß ſo oft toͤdliche Eiterungen
auf dieſes Verfahren folgen. Lungenſuͤchtige, Leute,
deren Saͤfte ſehr ſcharf ſind, Kinder, welche Wuͤrmer
oder Schaͤrfe haben, erſchoͤpfte Buhler und Buhlerin-
nen, die kraͤtzigen Neger, die Tripperpatienten,
die Selbſtbeflecker haben alle einen heftigen Antrieb
zum Beyſchlafe oder zu gewaltſamen Saamenentleerun-
gen, ohne daß man deßwegen je die Heilung dieſer
Uebel davon erwartet haͤtte. Schlechtbeſchaffene Frau-
enzimmer, deren ſchlappen Eingeweide von Saͤure
ſtrotzen, lieben die Saͤuren oft ganz unſinnig; andere,

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[666/0685] auch beym Inſtinkte ſtatt haben. — Die Inſtinkte ganzer Voͤlker ſind uͤberhaupt aͤußerſt ſchwer zu beur- theilen; man weiß nicht, ob gefuͤhltes Beduͤrfniß, Ueberlieferung, Gewohnheit, Nothwendigkeit, Ge- ſetzgebung, Religion, Erfahrung oder Vorurtheil den groͤßten Einfluß darauf haben; ob eben die Urſachen welche Krankheiten von einer Art abwenden, nicht Krankheiten von einer andern Art veranlaſſen. So z. B. wohnen die pohlniſchen und lithauer Juden in niedrigen feuchten Orten, und ſie ſaufen haͤufig den Brandtwein, wie die ungariſchen Hirten. Dadurch werden zwar ihre ſchwammigen Koͤrper feſter gemacht, und gegen die uͤblen Eindruͤcke der Sumpfluft einiger- maſſen geſchuͤtzet; allein dafuͤr bekommen ſie die Gicht, das Podagra, den Weichſelzopf, die ſchrecklichen Verknorplungen der haͤutigen Eingeweide, die ſo ge- nannte Schaͤferkrankheit. Die Krankheiten aller Voͤl- ker geben hievon Beweiſe ab. — In Lungenentzuͤn- dungen ſehnen ſich die meiſten nach kaltem Waſſer; und dennoch wiſſen wir, daß ſo oft toͤdliche Eiterungen auf dieſes Verfahren folgen. Lungenſuͤchtige, Leute, deren Saͤfte ſehr ſcharf ſind, Kinder, welche Wuͤrmer oder Schaͤrfe haben, erſchoͤpfte Buhler und Buhlerin- nen, die kraͤtzigen Neger, die Tripperpatienten, die Selbſtbeflecker haben alle einen heftigen Antrieb zum Beyſchlafe oder zu gewaltſamen Saamenentleerun- gen, ohne daß man deßwegen je die Heilung dieſer Uebel davon erwartet haͤtte. Schlechtbeſchaffene Frau- enzimmer, deren ſchlappen Eingeweide von Saͤure ſtrotzen, lieben die Saͤuren oft ganz unſinnig; andere, deren

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/685>, abgerufen am 28.03.2024.