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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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nen auf dem Herzen? -- Ja, bald ists im Herzen, bald
im Kopf, und ist immer einerley -- Ists Angst? --
's will kommen -- Nicht wahr, Sie fürchten, sie werden
sterben? -- Jetzt hab ichs! Ich kann nie sterben, und
sagen sie mir, ob dann kein Mittel ist, daß es gleich
seyn könnte? -- Dazu ist noch Zeit, sie müssen zuvor
wieder gesund werden -- Aber warum soll ich denn
ewig leben? -- Ehe sie zum ewigen Leben kommen,
müssen sie sterben -- Ich will jetzt gleich sterben --
Sagen sie mir, haben sie ihre Frau und Kinder lieb?
Sehen sie wie ihre Frau um sie weint? -- O ja, ich
habe sie recht lieb. -- Wenn sie also gleich gesund
seyn könnten, oder gleich sterben sollten, was wäre ih-
nen lieber? -- Ich probirte's Sterben. -- Ist denn so
was Gutes ums Sterben--Just nicht: Aber ewig, ewig
leben, fünf-sechshundert Jahr zu leben, und nach-
her noch immer einerley, das ist erschröcklich! -- Seyen
sie unbekümmert; sie sind krank, und da hat man al-
lerley Einbildungen, wie im Traume -- Ach nein,
ich bin nicht krank, mir ist alles wohl, nur daß ich
nicht sterben kann! -- -- Dieser Zustand blieb bis
den andern Tag um Mittag der nämliche, wo über
den ganzen Körper ein außerordentlich häufiger katharr-
halischer blutrother Ausschlag, mit länglichten Schnit-
ten in der Mitte, ausbrach, und die Augen wie ein
Stück Fleisch ganz von Blut strotzten, worauf er auf
einige Zeit zu sich kam.*) Es ist also ein Bischen
scharfe Feuchtigkeit, die den Menschen zum Wahrsa-

ger
*) Die fernere Geschichte im zweyten Kapitel.
Gall I. Band. E

nen auf dem Herzen? — Ja, bald iſts im Herzen, bald
im Kopf, und iſt immer einerley — Iſts Angſt? —
’s will kommen — Nicht wahr, Sie fuͤrchten, ſie werden
ſterben? — Jetzt hab ichs! Ich kann nie ſterben, und
ſagen ſie mir, ob dann kein Mittel iſt, daß es gleich
ſeyn koͤnnte? — Dazu iſt noch Zeit, ſie muͤſſen zuvor
wieder geſund werden — Aber warum ſoll ich denn
ewig leben? — Ehe ſie zum ewigen Leben kommen,
muͤſſen ſie ſterben — Ich will jetzt gleich ſterben —
Sagen ſie mir, haben ſie ihre Frau und Kinder lieb?
Sehen ſie wie ihre Frau um ſie weint? — O ja, ich
habe ſie recht lieb. — Wenn ſie alſo gleich geſund
ſeyn koͤnnten, oder gleich ſterben ſollten, was waͤre ih-
nen lieber? — Ich probirte’s Sterben. — Iſt denn ſo
was Gutes ums Sterben—Juſt nicht: Aber ewig, ewig
leben, fuͤnf-ſechshundert Jahr zu leben, und nach-
her noch immer einerley, das iſt erſchroͤcklich! — Seyen
ſie unbekuͤmmert; ſie ſind krank, und da hat man al-
lerley Einbildungen, wie im Traume — Ach nein,
ich bin nicht krank, mir iſt alles wohl, nur daß ich
nicht ſterben kann! — — Dieſer Zuſtand blieb bis
den andern Tag um Mittag der naͤmliche, wo uͤber
den ganzen Koͤrper ein außerordentlich haͤufiger katharr-
haliſcher blutrother Ausſchlag, mit laͤnglichten Schnit-
ten in der Mitte, ausbrach, und die Augen wie ein
Stuͤck Fleiſch ganz von Blut ſtrotzten, worauf er auf
einige Zeit zu ſich kam.*) Es iſt alſo ein Bischen
ſcharfe Feuchtigkeit, die den Menſchen zum Wahrſa-

ger
*) Die fernere Geſchichte im zweyten Kapitel.
Gall I. Band. E
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[65/0084] nen auf dem Herzen? — Ja, bald iſts im Herzen, bald im Kopf, und iſt immer einerley — Iſts Angſt? — ’s will kommen — Nicht wahr, Sie fuͤrchten, ſie werden ſterben? — Jetzt hab ichs! Ich kann nie ſterben, und ſagen ſie mir, ob dann kein Mittel iſt, daß es gleich ſeyn koͤnnte? — Dazu iſt noch Zeit, ſie muͤſſen zuvor wieder geſund werden — Aber warum ſoll ich denn ewig leben? — Ehe ſie zum ewigen Leben kommen, muͤſſen ſie ſterben — Ich will jetzt gleich ſterben — Sagen ſie mir, haben ſie ihre Frau und Kinder lieb? Sehen ſie wie ihre Frau um ſie weint? — O ja, ich habe ſie recht lieb. — Wenn ſie alſo gleich geſund ſeyn koͤnnten, oder gleich ſterben ſollten, was waͤre ih- nen lieber? — Ich probirte’s Sterben. — Iſt denn ſo was Gutes ums Sterben—Juſt nicht: Aber ewig, ewig leben, fuͤnf-ſechshundert Jahr zu leben, und nach- her noch immer einerley, das iſt erſchroͤcklich! — Seyen ſie unbekuͤmmert; ſie ſind krank, und da hat man al- lerley Einbildungen, wie im Traume — Ach nein, ich bin nicht krank, mir iſt alles wohl, nur daß ich nicht ſterben kann! — — Dieſer Zuſtand blieb bis den andern Tag um Mittag der naͤmliche, wo uͤber den ganzen Koͤrper ein außerordentlich haͤufiger katharr- haliſcher blutrother Ausſchlag, mit laͤnglichten Schnit- ten in der Mitte, ausbrach, und die Augen wie ein Stuͤck Fleiſch ganz von Blut ſtrotzten, worauf er auf einige Zeit zu ſich kam. *) Es iſt alſo ein Bischen ſcharfe Feuchtigkeit, die den Menſchen zum Wahrſa- ger *) Die fernere Geſchichte im zweyten Kapitel. Gall I. Band. E

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/84>, abgerufen am 23.04.2024.