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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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hersehungen reichen, zum theil mit der pünktlichen
Bestimmung der Zeit, hinaus auf mehrere Tage. Aber
so wie Plattner diese §. 787. vorzüglich der Einbil-
dungskraft zuschreibt, so halte ich jene §. 786. mehr
für die Folge eines empfundenen Dranges, einer an-
fangenden Verschlimmerung oder Erleichterung des Um-
standes, als für eigentliche Vorhersehungen. So starb
die 31 Kranke bey Perfect*) an Erstickung, wie sie
sichs immer gewunschen hatte; allein sie hatte schon
öftere Anfälle erlitten, und empfand wahrscheinlich
beim Eintritt der Erstickung eine Betäubung oder Er-
leichterung der andern Zufälle. Wie sehr der ganze
Körper zerrüttet war, beweiset die Leichenöffnung.
Ich weis auch von einigen, die am Schlagflusse star-
ben, welche Todesart sie sich gewunschen haben.

Wo aber hie und da eine deutliche Vorherse-
hung mit Bewustseyn des zukünftigen Zustandes statt
hat, da haben, wie Plattner richtig sagt, höchst wahr-
scheinlich die Fälle mit vormaligen eine Aehnlichkeit,
daß heißt: die jezige Empfindungsreihe, deren Ende
die Seele jezt vorhersieht, ist schon vorher einmal oder
mehrmal in der Seele rege gewesen; und dann läst
sich die Gabe der Vorhersehung aus den bekannten
psychologischen Erfahrungssäzen von der Ideenverbin-
dung, und aus der damit zusammenhangenden Erwar-
tung der Aehnlichkeit des Endes bey der Aehnlichkeit
des Anfanges erklären.

Den angeführten Fällen füge ich noch das nach-
lassende Schlaffieber der Greise bey (Febris remittens

soporo-
*) A. a. 6. S. 162.
E 2

herſehungen reichen, zum theil mit der puͤnktlichen
Beſtimmung der Zeit, hinaus auf mehrere Tage. Aber
ſo wie Plattner dieſe §. 787. vorzuͤglich der Einbil-
dungskraft zuſchreibt, ſo halte ich jene §. 786. mehr
fuͤr die Folge eines empfundenen Dranges, einer an-
fangenden Verſchlimmerung oder Erleichterung des Um-
ſtandes, als fuͤr eigentliche Vorherſehungen. So ſtarb
die 31 Kranke bey Perfect*) an Erſtickung, wie ſie
ſichs immer gewunſchen hatte; allein ſie hatte ſchon
oͤftere Anfaͤlle erlitten, und empfand wahrſcheinlich
beim Eintritt der Erſtickung eine Betaͤubung oder Er-
leichterung der andern Zufaͤlle. Wie ſehr der ganze
Koͤrper zerruͤttet war, beweiſet die Leichenoͤffnung.
Ich weis auch von einigen, die am Schlagfluſſe ſtar-
ben, welche Todesart ſie ſich gewunſchen haben.

Wo aber hie und da eine deutliche Vorherſe-
hung mit Bewuſtſeyn des zukuͤnftigen Zuſtandes ſtatt
hat, da haben, wie Plattner richtig ſagt, hoͤchſt wahr-
ſcheinlich die Faͤlle mit vormaligen eine Aehnlichkeit,
daß heißt: die jezige Empfindungsreihe, deren Ende
die Seele jezt vorherſieht, iſt ſchon vorher einmal oder
mehrmal in der Seele rege geweſen; und dann laͤſt
ſich die Gabe der Vorherſehung aus den bekannten
pſychologiſchen Erfahrungsſaͤzen von der Ideenverbin-
dung, und aus der damit zuſammenhangenden Erwar-
tung der Aehnlichkeit des Endes bey der Aehnlichkeit
des Anfanges erklaͤren.

Den angefuͤhrten Faͤllen fuͤge ich noch das nach-
laſſende Schlaffieber der Greiſe bey (Febris remittens

ſoporo-
*) A. a. 6. S. 162.
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[67/0086] herſehungen reichen, zum theil mit der puͤnktlichen Beſtimmung der Zeit, hinaus auf mehrere Tage. Aber ſo wie Plattner dieſe §. 787. vorzuͤglich der Einbil- dungskraft zuſchreibt, ſo halte ich jene §. 786. mehr fuͤr die Folge eines empfundenen Dranges, einer an- fangenden Verſchlimmerung oder Erleichterung des Um- ſtandes, als fuͤr eigentliche Vorherſehungen. So ſtarb die 31 Kranke bey Perfect *) an Erſtickung, wie ſie ſichs immer gewunſchen hatte; allein ſie hatte ſchon oͤftere Anfaͤlle erlitten, und empfand wahrſcheinlich beim Eintritt der Erſtickung eine Betaͤubung oder Er- leichterung der andern Zufaͤlle. Wie ſehr der ganze Koͤrper zerruͤttet war, beweiſet die Leichenoͤffnung. Ich weis auch von einigen, die am Schlagfluſſe ſtar- ben, welche Todesart ſie ſich gewunſchen haben. Wo aber hie und da eine deutliche Vorherſe- hung mit Bewuſtſeyn des zukuͤnftigen Zuſtandes ſtatt hat, da haben, wie Plattner richtig ſagt, hoͤchſt wahr- ſcheinlich die Faͤlle mit vormaligen eine Aehnlichkeit, daß heißt: die jezige Empfindungsreihe, deren Ende die Seele jezt vorherſieht, iſt ſchon vorher einmal oder mehrmal in der Seele rege geweſen; und dann laͤſt ſich die Gabe der Vorherſehung aus den bekannten pſychologiſchen Erfahrungsſaͤzen von der Ideenverbin- dung, und aus der damit zuſammenhangenden Erwar- tung der Aehnlichkeit des Endes bey der Aehnlichkeit des Anfanges erklaͤren. Den angefuͤhrten Faͤllen fuͤge ich noch das nach- laſſende Schlaffieber der Greiſe bey (Febris remittens ſoporo- *) A. a. 6. S. 162. E 2

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/86>, abgerufen am 24.04.2024.