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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889.

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Im Jahre 1883 waren in Deutschland 4800000 Spindeln im Gange
und 150000 Arbeiter beschäftigt.

§ 11. Flachs.

Der Flachs, die Bastfaser der Flachs- oder Leinpflanze, hat schon
seit undenklichen Zeiten zur Herstellung von Geweben für Bekleidungszwecke
gedient und war, als die Baumwolle noch nicht in Europa bekannt war,
von viel größerer Wichtigkeit, als heutzutage, zumal für Europa, da die
Flachsfaser die einzige pflanzliche Gespinnstfaser ist, welche in Europa
erzeugt wird, und deren Stammpflanze in Europa heimisch ist. Durch den
von Jahr zu Jahr steigenden Verbrauch an Baumwolle, durch die lein-
wandartigen Gewebe, Shirting, Hemdentuch etc. und durch den wesentlich
billigeren Preis der Baumwollfabrikate ist die Flachs- oder Leinfaser mehr
und mehr verdrängt worden. Daher besteht auch der Leinbau nicht mehr in
dem Umfange, als ehedem.

Herkunft. Die den Flachs liefernde Pflanze ist der Lein, Linum
usitatissimum L.,
eine auf Feldern gebaute, einjährige Pflanze aus der
Familie der Caryophylleae. Es ist eine 1/2 bis 1 m hohe Pflanze mit
wenig verzweigtem Stengel, glatten Blättern und hellblauen Blüten. Der
Flachsbau wird vornehmlich in Rußland, Belgien, Irland, Holland, in den
östlichen Provinzen Preußens, in Böhmen, Oesterr. Schlesien, in Salzburg
und Tirol betrieben, in zweiter Linie sind Frankreich, Italien, Aegypten, Al-
gier und Ostindien zu nennen. Klima, Kultur und Gewinnungsmethoden
sind von großem Einfluß auf die Entwickelung der Flachsfaser, so daß zwi-
schen der feinsten Sorte belgischem Flachs und dem in Tirol und Salzburg
produzierten ein gewaltiger Unterschied ist. Nach der verschiedenen Zeit des
Anbaues unterscheidet man Frühlein und Spätlein, von denen der erstere
im Juni und Juli, der letztere im August und September geerntet wird.
Besonders geschätzt ist der lange und feine Flachs, welchen die Leinbauer
durch das sog. "Ländlern" erzielen, indem sie die Felder mit Reisig belegen
oder mit Fäden bespannen, und so die jungen Pflanzen zwingen, da hindurch-
zuwachsen. Die Flachsfaser ist am wertvollsten, wenn die Pflanze verblüht
hat und die Samenkapseln eben anfangen, gelb zu werden. Die Pflanze
wird dann mit der Wurzel aus dem Boden gezogen, in Garben gebunden
und auf dem Felde getrocknet.

Gewinnung. Der Flachs bildet die innere Rindensubstanz des Leinsten-
gels und ist nur von einer dünnen Epidermis mit einer Cuticula umgeben;
nach dem Innern des Stengels schließt sich an die Bastschicht eine Schicht von

[Tabelle]

Im Jahre 1883 waren in Deutſchland 4800000 Spindeln im Gange
und 150000 Arbeiter beſchäftigt.

§ 11. Flachs.

Der Flachs, die Baſtfaſer der Flachs- oder Leinpflanze, hat ſchon
ſeit undenklichen Zeiten zur Herſtellung von Geweben für Bekleidungszwecke
gedient und war, als die Baumwolle noch nicht in Europa bekannt war,
von viel größerer Wichtigkeit, als heutzutage, zumal für Europa, da die
Flachsfaſer die einzige pflanzliche Geſpinnſtfaſer iſt, welche in Europa
erzeugt wird, und deren Stammpflanze in Europa heimiſch iſt. Durch den
von Jahr zu Jahr ſteigenden Verbrauch an Baumwolle, durch die lein-
wandartigen Gewebe, Shirting, Hemdentuch ꝛc. und durch den weſentlich
billigeren Preis der Baumwollfabrikate iſt die Flachs- oder Leinfaſer mehr
und mehr verdrängt worden. Daher beſteht auch der Leinbau nicht mehr in
dem Umfange, als ehedem.

Herkunft. Die den Flachs liefernde Pflanze iſt der Lein, Linum
usitatissimum L.,
eine auf Feldern gebaute, einjährige Pflanze aus der
Familie der Caryophylleae. Es iſt eine ½ bis 1 m hohe Pflanze mit
wenig verzweigtem Stengel, glatten Blättern und hellblauen Blüten. Der
Flachsbau wird vornehmlich in Rußland, Belgien, Irland, Holland, in den
öſtlichen Provinzen Preußens, in Böhmen, Oeſterr. Schleſien, in Salzburg
und Tirol betrieben, in zweiter Linie ſind Frankreich, Italien, Aegypten, Al-
gier und Oſtindien zu nennen. Klima, Kultur und Gewinnungsmethoden
ſind von großem Einfluß auf die Entwickelung der Flachsfaſer, ſo daß zwi-
ſchen der feinſten Sorte belgiſchem Flachs und dem in Tirol und Salzburg
produzierten ein gewaltiger Unterſchied iſt. Nach der verſchiedenen Zeit des
Anbaues unterſcheidet man Frühlein und Spätlein, von denen der erſtere
im Juni und Juli, der letztere im Auguſt und September geerntet wird.
Beſonders geſchätzt iſt der lange und feine Flachs, welchen die Leinbauer
durch das ſog. „Ländlern“ erzielen, indem ſie die Felder mit Reiſig belegen
oder mit Fäden beſpannen, und ſo die jungen Pflanzen zwingen, da hindurch-
zuwachſen. Die Flachsfaſer iſt am wertvollſten, wenn die Pflanze verblüht
hat und die Samenkapſeln eben anfangen, gelb zu werden. Die Pflanze
wird dann mit der Wurzel aus dem Boden gezogen, in Garben gebunden
und auf dem Felde getrocknet.

Gewinnung. Der Flachs bildet die innere Rindenſubſtanz des Leinſten-
gels und iſt nur von einer dünnen Epidermis mit einer Cuticula umgeben;
nach dem Innern des Stengels ſchließt ſich an die Baſtſchicht eine Schicht von

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[62/0088] Im Jahre 1883 waren in Deutſchland 4800000 Spindeln im Gange und 150000 Arbeiter beſchäftigt. § 11. Flachs. Der Flachs, die Baſtfaſer der Flachs- oder Leinpflanze, hat ſchon ſeit undenklichen Zeiten zur Herſtellung von Geweben für Bekleidungszwecke gedient und war, als die Baumwolle noch nicht in Europa bekannt war, von viel größerer Wichtigkeit, als heutzutage, zumal für Europa, da die Flachsfaſer die einzige pflanzliche Geſpinnſtfaſer iſt, welche in Europa erzeugt wird, und deren Stammpflanze in Europa heimiſch iſt. Durch den von Jahr zu Jahr ſteigenden Verbrauch an Baumwolle, durch die lein- wandartigen Gewebe, Shirting, Hemdentuch ꝛc. und durch den weſentlich billigeren Preis der Baumwollfabrikate iſt die Flachs- oder Leinfaſer mehr und mehr verdrängt worden. Daher beſteht auch der Leinbau nicht mehr in dem Umfange, als ehedem. Herkunft. Die den Flachs liefernde Pflanze iſt der Lein, Linum usitatissimum L., eine auf Feldern gebaute, einjährige Pflanze aus der Familie der Caryophylleae. Es iſt eine ½ bis 1 m hohe Pflanze mit wenig verzweigtem Stengel, glatten Blättern und hellblauen Blüten. Der Flachsbau wird vornehmlich in Rußland, Belgien, Irland, Holland, in den öſtlichen Provinzen Preußens, in Böhmen, Oeſterr. Schleſien, in Salzburg und Tirol betrieben, in zweiter Linie ſind Frankreich, Italien, Aegypten, Al- gier und Oſtindien zu nennen. Klima, Kultur und Gewinnungsmethoden ſind von großem Einfluß auf die Entwickelung der Flachsfaſer, ſo daß zwi- ſchen der feinſten Sorte belgiſchem Flachs und dem in Tirol und Salzburg produzierten ein gewaltiger Unterſchied iſt. Nach der verſchiedenen Zeit des Anbaues unterſcheidet man Frühlein und Spätlein, von denen der erſtere im Juni und Juli, der letztere im Auguſt und September geerntet wird. Beſonders geſchätzt iſt der lange und feine Flachs, welchen die Leinbauer durch das ſog. „Ländlern“ erzielen, indem ſie die Felder mit Reiſig belegen oder mit Fäden beſpannen, und ſo die jungen Pflanzen zwingen, da hindurch- zuwachſen. Die Flachsfaſer iſt am wertvollſten, wenn die Pflanze verblüht hat und die Samenkapſeln eben anfangen, gelb zu werden. Die Pflanze wird dann mit der Wurzel aus dem Boden gezogen, in Garben gebunden und auf dem Felde getrocknet. Gewinnung. Der Flachs bildet die innere Rindenſubſtanz des Leinſten- gels und iſt nur von einer dünnen Epidermis mit einer Cuticula umgeben; nach dem Innern des Stengels ſchließt ſich an die Baſtſchicht eine Schicht von

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Zitationshilfe: Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/88>, abgerufen am 28.03.2024.