Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite
Chemikalienkunde.

§ 83. Allgemeines.

Mit den in den vorigen beiden Hauptabschnitten Gewebefaserkunde
und Farbwarenkunde behandelten Gespinnstfasern und Farbstoffen ist jedoch
ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteste Färber wird aus
Seidengarn und den grünglänzenden Krystallen des Fuchsins noch keine rot-
gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindestens eines
Körpers: des Wassers. Was wäre der Färber ohne Wasser? das Wasser
ist ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den
3 Faktoren Gewebefaser, Farbstoff und Wasser lassen sich schon eine recht
ansehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber
auch diese 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle,
Orange II und Wasser eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum-
wolle, Malachitgrün und Wasser eine grün gefärbte Baumwolle; im ersten
Falle bedarf er noch der Schwefelsäure und des Glaubersalzes, im andern
Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinsteins, um zu einer
eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs-
kraft, oder die chemische Verwandtschaft zwischen Faser und Farbstoff ist für
jede Faser und für jeden Farbstoff eine verschiedene; sie ist in manchen
Fällen eine so große, daß es nur des Wassers bedarf, um die Verbindung
des Farbstoffes mit oder die Einlagerung des Farbstoffes in der Faser zu
bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtschaft zwischen
Faser und Farbstoff eine minder große ist, wird zwar auch eine Färbung
erzielt; diese ist aber so unbeständig, daß schon ein Spülen im Wasser den nur
mechanisch anhaftenden Farbstoff wieder entfernt. Alle jene Farbstoffe,
welche zur Gewebefaser eine so große Verwandtschaft besitzen,
daß sie unter Zuhilfenahme lediglich des Wassers eine richtige
Färbung der Faser erzielen, werden direkte oder substantive
Farbstoffe genannt
. Die Anzahl solcher Farbstoffe ist nicht eben groß,
und sie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieser direkten Farbstoffe
keineswegs alle, sondern nur gewisse Fasern substantiv färbt. Der größere
Teil der heute üblichen Farbstoffe bedarf zur Erzeugung einer fest haftenden

Chemikalienkunde.

§ 83. Allgemeines.

Mit den in den vorigen beiden Hauptabſchnitten Gewebefaſerkunde
und Farbwarenkunde behandelten Geſpinnſtfaſern und Farbſtoffen iſt jedoch
ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteſte Färber wird aus
Seidengarn und den grünglänzenden Kryſtallen des Fuchſins noch keine rot-
gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindeſtens eines
Körpers: des Waſſers. Was wäre der Färber ohne Waſſer? das Waſſer
iſt ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den
3 Faktoren Gewebefaſer, Farbſtoff und Waſſer laſſen ſich ſchon eine recht
anſehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber
auch dieſe 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle,
Orange II und Waſſer eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum-
wolle, Malachitgrün und Waſſer eine grün gefärbte Baumwolle; im erſten
Falle bedarf er noch der Schwefelſäure und des Glauberſalzes, im andern
Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinſteins, um zu einer
eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs-
kraft, oder die chemiſche Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff iſt für
jede Faſer und für jeden Farbſtoff eine verſchiedene; ſie iſt in manchen
Fällen eine ſo große, daß es nur des Waſſers bedarf, um die Verbindung
des Farbſtoffes mit oder die Einlagerung des Farbſtoffes in der Faſer zu
bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtſchaft zwiſchen
Faſer und Farbſtoff eine minder große iſt, wird zwar auch eine Färbung
erzielt; dieſe iſt aber ſo unbeſtändig, daß ſchon ein Spülen im Waſſer den nur
mechaniſch anhaftenden Farbſtoff wieder entfernt. Alle jene Farbſtoffe,
welche zur Gewebefaſer eine ſo große Verwandtſchaft beſitzen,
daß ſie unter Zuhilfenahme lediglich des Waſſers eine richtige
Färbung der Faſer erzielen, werden direkte oder ſubſtantive
Farbſtoffe genannt
. Die Anzahl ſolcher Farbſtoffe iſt nicht eben groß,
und ſie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieſer direkten Farbſtoffe
keineswegs alle, ſondern nur gewiſſe Faſern ſubſtantiv färbt. Der größere
Teil der heute üblichen Farbſtoffe bedarf zur Erzeugung einer feſt haftenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0243" n="[217]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Chemikalienkunde.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>§ 83. <hi rendition="#b">Allgemeines.</hi></head><lb/>
            <p>Mit den in den vorigen beiden Hauptab&#x017F;chnitten <hi rendition="#g">Gewebefa&#x017F;erkunde</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Farbwarenkunde</hi> behandelten Ge&#x017F;pinn&#x017F;tfa&#x017F;ern und Farb&#x017F;toffen i&#x017F;t jedoch<lb/>
ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandte&#x017F;te Färber wird aus<lb/>
Seidengarn und den grünglänzenden Kry&#x017F;tallen des Fuch&#x017F;ins noch keine rot-<lb/>
gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch minde&#x017F;tens eines<lb/>
Körpers: des <hi rendition="#g">Wa&#x017F;&#x017F;ers</hi>. Was wäre der Färber ohne Wa&#x017F;&#x017F;er? das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
i&#x017F;t ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den<lb/>
3 Faktoren Gewebefa&#x017F;er, Farb&#x017F;toff und Wa&#x017F;&#x017F;er la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;chon eine recht<lb/>
an&#x017F;ehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber<lb/>
auch die&#x017F;e 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle,<lb/>
Orange <hi rendition="#aq">II</hi> und Wa&#x017F;&#x017F;er eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum-<lb/>
wolle, Malachitgrün und Wa&#x017F;&#x017F;er eine grün gefärbte Baumwolle; im er&#x017F;ten<lb/>
Falle bedarf er noch der Schwefel&#x017F;äure und des Glauber&#x017F;alzes, im andern<lb/>
Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechwein&#x017F;teins, um zu einer<lb/>
eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs-<lb/>
kraft, oder die chemi&#x017F;che Verwandt&#x017F;chaft zwi&#x017F;chen Fa&#x017F;er und Farb&#x017F;toff i&#x017F;t für<lb/>
jede Fa&#x017F;er und für jeden Farb&#x017F;toff eine ver&#x017F;chiedene; &#x017F;ie i&#x017F;t in manchen<lb/>
Fällen eine &#x017F;o große, daß es nur des Wa&#x017F;&#x017F;ers bedarf, um die Verbindung<lb/>
des Farb&#x017F;toffes mit oder die Einlagerung des Farb&#x017F;toffes in der Fa&#x017F;er zu<lb/>
bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandt&#x017F;chaft zwi&#x017F;chen<lb/>
Fa&#x017F;er und Farb&#x017F;toff eine minder große i&#x017F;t, wird zwar auch eine Färbung<lb/>
erzielt; die&#x017F;e i&#x017F;t aber &#x017F;o unbe&#x017F;tändig, daß &#x017F;chon ein Spülen im Wa&#x017F;&#x017F;er den nur<lb/>
mechani&#x017F;ch anhaftenden Farb&#x017F;toff wieder entfernt. <hi rendition="#g">Alle jene Farb&#x017F;toffe,<lb/>
welche zur Gewebefa&#x017F;er eine &#x017F;o große Verwandt&#x017F;chaft be&#x017F;itzen,<lb/>
daß &#x017F;ie unter Zuhilfenahme lediglich des Wa&#x017F;&#x017F;ers eine richtige<lb/>
Färbung der Fa&#x017F;er erzielen, werden direkte oder &#x017F;ub&#x017F;tantive<lb/>
Farb&#x017F;toffe genannt</hi>. Die Anzahl &#x017F;olcher Farb&#x017F;toffe i&#x017F;t nicht eben groß,<lb/>
und &#x017F;ie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl die&#x017F;er direkten Farb&#x017F;toffe<lb/>
keineswegs alle, &#x017F;ondern nur gewi&#x017F;&#x017F;e Fa&#x017F;ern &#x017F;ub&#x017F;tantiv färbt. Der größere<lb/>
Teil der heute üblichen Farb&#x017F;toffe bedarf zur Erzeugung einer fe&#x017F;t haftenden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[217]/0243] Chemikalienkunde. § 83. Allgemeines. Mit den in den vorigen beiden Hauptabſchnitten Gewebefaſerkunde und Farbwarenkunde behandelten Geſpinnſtfaſern und Farbſtoffen iſt jedoch ein Färben noch nicht möglich. Auch der gewandteſte Färber wird aus Seidengarn und den grünglänzenden Kryſtallen des Fuchſins noch keine rot- gefärbte Seide erzielen können. Er bedarf dazu noch mindeſtens eines Körpers: des Waſſers. Was wäre der Färber ohne Waſſer? das Waſſer iſt ein unentbehrlicher, unumgänglicher Faktor in der Färberei, und mit den 3 Faktoren Gewebefaſer, Farbſtoff und Waſſer laſſen ſich ſchon eine recht anſehnliche Menge von Färbungen erzielen. In vielen Fällen reichen aber auch dieſe 3 Faktoren noch nicht aus; z. B. wird niemand mit Wolle, Orange II und Waſſer eine gelb gefärbte Wolle erzielen, oder mit Baum- wolle, Malachitgrün und Waſſer eine grün gefärbte Baumwolle; im erſten Falle bedarf er noch der Schwefelſäure und des Glauberſalzes, im andern Falle des Sumachs oder des Tannins und des Brechweinſteins, um zu einer eigentlichen Färbung zu gelangen. Die Verbindungsfähigkeit, die Anziehungs- kraft, oder die chemiſche Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff iſt für jede Faſer und für jeden Farbſtoff eine verſchiedene; ſie iſt in manchen Fällen eine ſo große, daß es nur des Waſſers bedarf, um die Verbindung des Farbſtoffes mit oder die Einlagerung des Farbſtoffes in der Faſer zu bewirken. In allen den zahlreichen Fällen, wo die Verwandtſchaft zwiſchen Faſer und Farbſtoff eine minder große iſt, wird zwar auch eine Färbung erzielt; dieſe iſt aber ſo unbeſtändig, daß ſchon ein Spülen im Waſſer den nur mechaniſch anhaftenden Farbſtoff wieder entfernt. Alle jene Farbſtoffe, welche zur Gewebefaſer eine ſo große Verwandtſchaft beſitzen, daß ſie unter Zuhilfenahme lediglich des Waſſers eine richtige Färbung der Faſer erzielen, werden direkte oder ſubſtantive Farbſtoffe genannt. Die Anzahl ſolcher Farbſtoffe iſt nicht eben groß, und ſie wird noch kleiner dadurch, daß eine Anzahl dieſer direkten Farbſtoffe keineswegs alle, ſondern nur gewiſſe Faſern ſubſtantiv färbt. Der größere Teil der heute üblichen Farbſtoffe bedarf zur Erzeugung einer feſt haftenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/243
Zitationshilfe: Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. [217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/243>, abgerufen am 28.03.2024.