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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 11. Gränzen der Staatsgewalt.
b) Besondere Abgränzungen.
§. 11.

Es giebt nun aber eine Reihe von Interessen des
Volkslebens, denen gegenüber die Abgränzung der Staats-
gewalt von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Es handelt
sich dabei um Lebensäusserungen und Zustände, bei
denen ein bevormundendes und zwingendes Eingreifen
der Staatsgewalt als eine Verletzung der sittlichen
Würde des Volks, oder überhaupt als ein Hemmniss
seiner freien Entwickelung empfunden wird. Zugleich
handelt es sich um Interessen, welche früher in ausser-
ordentlicher Weise unter dem Drucke staatlicher Be-
schränkungen zu leiden hatten, so dass die Befreiung
hiervon als ein hoch geachtetes Ergebniss der neueren
Staatsentwickelung geschätzt wird. Daher kommt es,
dass jetzt in vielen Staaten die Rechtssätze, welche
diese das Volksleben befreienden Beschränkungen der
Staatsgewalt feststellen, als Bestandtheile des Grund-
gesetzes selbst aufgefasst und den fundamentalen Ord-
nungen des Staatsrechts einverleibt werden.1 Man

dem individuellen, dem gesellschaftlichen, gewerblichen Leben der
Bürger, der Familie, der Gemeinde, der Kirche und der Sphäre
der geistigen Cultur. Diese Bedeutung wird der Gesetzgebung in
um so höherem Grade zukommen, je mehr nach der Verfassung
des einzelnen Staats dem Volke selbst eine Einwirkung darauf zu-
steht. -- Die Verfassung des Staats im engeren Sinne, d. h. die
Ordnung seiner Organe und rechtmässigen Lebensäusserung kann
man eigentlich nicht eine Schranke der Staatsgewalt nennen; es
würde darin die unrichtige Vorstellung liegen, als wenn Letztere et-
was ausser der Verfassung Selbständiges wäre, das durch diese wie
durch einen äusserlich angelegten Zwangsapparat gebändigt würde.
1 Bundesacte Art. 18. (Ganz eigen der Feststellung dieser
Sätze gewidmet waren die s. g. Grundrechte des deutschen Volks,
§. 11. Gränzen der Staatsgewalt.
b) Besondere Abgränzungen.
§. 11.

Es giebt nun aber eine Reihe von Interessen des
Volkslebens, denen gegenüber die Abgränzung der Staats-
gewalt von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Es handelt
sich dabei um Lebensäusserungen und Zustände, bei
denen ein bevormundendes und zwingendes Eingreifen
der Staatsgewalt als eine Verletzung der sittlichen
Würde des Volks, oder überhaupt als ein Hemmniss
seiner freien Entwickelung empfunden wird. Zugleich
handelt es sich um Interessen, welche früher in ausser-
ordentlicher Weise unter dem Drucke staatlicher Be-
schränkungen zu leiden hatten, so dass die Befreiung
hiervon als ein hoch geachtetes Ergebniss der neueren
Staatsentwickelung geschätzt wird. Daher kommt es,
dass jetzt in vielen Staaten die Rechtssätze, welche
diese das Volksleben befreienden Beschränkungen der
Staatsgewalt feststellen, als Bestandtheile des Grund-
gesetzes selbst aufgefasst und den fundamentalen Ord-
nungen des Staatsrechts einverleibt werden.1 Man

dem individuellen, dem gesellschaftlichen, gewerblichen Leben der
Bürger, der Familie, der Gemeinde, der Kirche und der Sphäre
der geistigen Cultur. Diese Bedeutung wird der Gesetzgebung in
um so höherem Grade zukommen, je mehr nach der Verfassung
des einzelnen Staats dem Volke selbst eine Einwirkung darauf zu-
steht. — Die Verfassung des Staats im engeren Sinne, d. h. die
Ordnung seiner Organe und rechtmässigen Lebensäusserung kann
man eigentlich nicht eine Schranke der Staatsgewalt nennen; es
würde darin die unrichtige Vorstellung liegen, als wenn Letztere et-
was ausser der Verfassung Selbständiges wäre, das durch diese wie
durch einen äusserlich angelegten Zwangsapparat gebändigt würde.
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Sätze gewidmet waren die s. g. Grundrechte des deutschen Volks,
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[31/0049] §. 11. Gränzen der Staatsgewalt. b) Besondere Abgränzungen. §. 11. Es giebt nun aber eine Reihe von Interessen des Volkslebens, denen gegenüber die Abgränzung der Staats- gewalt von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Es handelt sich dabei um Lebensäusserungen und Zustände, bei denen ein bevormundendes und zwingendes Eingreifen der Staatsgewalt als eine Verletzung der sittlichen Würde des Volks, oder überhaupt als ein Hemmniss seiner freien Entwickelung empfunden wird. Zugleich handelt es sich um Interessen, welche früher in ausser- ordentlicher Weise unter dem Drucke staatlicher Be- schränkungen zu leiden hatten, so dass die Befreiung hiervon als ein hoch geachtetes Ergebniss der neueren Staatsentwickelung geschätzt wird. Daher kommt es, dass jetzt in vielen Staaten die Rechtssätze, welche diese das Volksleben befreienden Beschränkungen der Staatsgewalt feststellen, als Bestandtheile des Grund- gesetzes selbst aufgefasst und den fundamentalen Ord- nungen des Staatsrechts einverleibt werden. 1 Man 4 1 Bundesacte Art. 18. (Ganz eigen der Feststellung dieser Sätze gewidmet waren die s. g. Grundrechte des deutschen Volks, 4 dem individuellen, dem gesellschaftlichen, gewerblichen Leben der Bürger, der Familie, der Gemeinde, der Kirche und der Sphäre der geistigen Cultur. Diese Bedeutung wird der Gesetzgebung in um so höherem Grade zukommen, je mehr nach der Verfassung des einzelnen Staats dem Volke selbst eine Einwirkung darauf zu- steht. — Die Verfassung des Staats im engeren Sinne, d. h. die Ordnung seiner Organe und rechtmässigen Lebensäusserung kann man eigentlich nicht eine Schranke der Staatsgewalt nennen; es würde darin die unrichtige Vorstellung liegen, als wenn Letztere et- was ausser der Verfassung Selbständiges wäre, das durch diese wie durch einen äusserlich angelegten Zwangsapparat gebändigt würde.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/49>, abgerufen am 18.04.2024.