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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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und sich gesättigt an seinem Maisbrei, da wurde er sehr gross, er reichte über die Berggipfel hinweg und seine Füsse bedeckten die Ebenen und die Thäler. Seine Hände streckte er aus bis zum Meere im Osten und Westen. Da wurde er unser grosser Vater. Er liebte seine rothen Kinder, aber sprach zu ihnen: ihr müsst ein wenig aus dem Wege gehen, damit ich nicht von ungefähr auf euch trete. Mit dem einen Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee und mit dem anderen trat er die Gräber seiner Väter nieder. Aber unser grosser Vater liebte doch seine rothen Kinder und änderte bald seine Sprache gegen sie. Er sprach viel, aber der Sinn von Allem war, nur: geht ein wenig aus dem Wege, ihr seid mir zu nahe. Ich habe viele Reden von unserem grossen Vater gehört und alle begannen und endeten ebenso" (Waitz 3, 144). Chamisso, einer der wenigen, die sich in Deutschland für die Stellung jener Völker interessirten, hat dieser Rede ergreifenden Ausdruck verliehen in einem seiner Gedichte (Werke 4, 86). Sie ist bekannt genug: und wenn auch in ihr der ethische Gedanke die Hauptsache ist, so kann doch auch die Schilderung der Thatsachen nicht schlagender gegeben werden.

Und doch, auch wenn man den Eingeborenen genügenden Landbesitz und Jagd und Lebensmittel genug sichern könnte, wir wiederholen es: die totale Umwälzung ihres ganzen leiblichen Lebens, das, wie wir eben gesehen, sich nach jeder Richtung hin ändern musste durch die plötzlich hereinbrechende Kultur, wird auch wenn keine Halbheiten, Ungeschicklichkeiten u. dergl. vorkommen, wenn alles gleich so trefflich als möglich eingerichtet wäre, den gefahrvollsten Einfluss auf die Naturvölker haben und je mehr, je plötzlicher sie kommt. Denn je länger physische Gewohnheiten schon bestehen, um so fester sind sie und um so gefährlicher ist es für die menschliche Natur, wenn sie plötzlich gebrochen werden sollen. Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze unterworfen: dem Gesetze der Beharrlichkeit. Wie eine Flüssigkeit, welche man in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat, diesem Laufe immer williger und rascher folgt, aber wild in ungeordnete Wirbel zusammenschäumt, wenn man sie nach der entgegengesetzten Richtung hin zwingen will, bis sie sich endlich und allmählich diesem Neuen gewöhnt: so musste das natürliche Leben dieser Völker in Aufregung und Unordnung kommen, als es so plötzlich von der übermächtigen Kultur unterbrochen wurde, an die es sich erst langsam und sehr allmählich gewöhnen wird. So werden denn einzelne wohl, nie aber ein ganzes Volk rasch und plötzlich sich eine so totale Umänderung, wie hier nöthig, und käme sie unter den günstigsten Bedingungen (was hier leider nicht geschah), aneignen können. Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen, die wir vorhin Dieffenbach entlehnten, dass die Neuseeländer, wo sie vollkommen europäisch lebten, auch gesund seien: wobei denn immer noch zu erwägen bleibt, dass

und sich gesättigt an seinem Maisbrei, da wurde er sehr gross, er reichte über die Berggipfel hinweg und seine Füsse bedeckten die Ebenen und die Thäler. Seine Hände streckte er aus bis zum Meere im Osten und Westen. Da wurde er unser grosser Vater. Er liebte seine rothen Kinder, aber sprach zu ihnen: ihr müsst ein wenig aus dem Wege gehen, damit ich nicht von ungefähr auf euch trete. Mit dem einen Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee und mit dem anderen trat er die Gräber seiner Väter nieder. Aber unser grosser Vater liebte doch seine rothen Kinder und änderte bald seine Sprache gegen sie. Er sprach viel, aber der Sinn von Allem war, nur: geht ein wenig aus dem Wege, ihr seid mir zu nahe. Ich habe viele Reden von unserem grossen Vater gehört und alle begannen und endeten ebenso« (Waitz 3, 144). Chamisso, einer der wenigen, die sich in Deutschland für die Stellung jener Völker interessirten, hat dieser Rede ergreifenden Ausdruck verliehen in einem seiner Gedichte (Werke 4, 86). Sie ist bekannt genug: und wenn auch in ihr der ethische Gedanke die Hauptsache ist, so kann doch auch die Schilderung der Thatsachen nicht schlagender gegeben werden.

Und doch, auch wenn man den Eingeborenen genügenden Landbesitz und Jagd und Lebensmittel genug sichern könnte, wir wiederholen es: die totale Umwälzung ihres ganzen leiblichen Lebens, das, wie wir eben gesehen, sich nach jeder Richtung hin ändern musste durch die plötzlich hereinbrechende Kultur, wird auch wenn keine Halbheiten, Ungeschicklichkeiten u. dergl. vorkommen, wenn alles gleich so trefflich als möglich eingerichtet wäre, den gefahrvollsten Einfluss auf die Naturvölker haben und je mehr, je plötzlicher sie kommt. Denn je länger physische Gewohnheiten schon bestehen, um so fester sind sie und um so gefährlicher ist es für die menschliche Natur, wenn sie plötzlich gebrochen werden sollen. Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze unterworfen: dem Gesetze der Beharrlichkeit. Wie eine Flüssigkeit, welche man in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat, diesem Laufe immer williger und rascher folgt, aber wild in ungeordnete Wirbel zusammenschäumt, wenn man sie nach der entgegengesetzten Richtung hin zwingen will, bis sie sich endlich und allmählich diesem Neuen gewöhnt: so musste das natürliche Leben dieser Völker in Aufregung und Unordnung kommen, als es so plötzlich von der übermächtigen Kultur unterbrochen wurde, an die es sich erst langsam und sehr allmählich gewöhnen wird. So werden denn einzelne wohl, nie aber ein ganzes Volk rasch und plötzlich sich eine so totale Umänderung, wie hier nöthig, und käme sie unter den günstigsten Bedingungen (was hier leider nicht geschah), aneignen können. Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen, die wir vorhin Dieffenbach entlehnten, dass die Neuseeländer, wo sie vollkommen europäisch lebten, auch gesund seien: wobei denn immer noch zu erwägen bleibt, dass

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 Hände streckte er aus bis zum Meere im Osten und Westen. Da
 wurde er unser grosser Vater. Er liebte seine rothen Kinder, aber
 sprach zu ihnen: ihr müsst ein wenig aus dem Wege gehen, damit
 ich nicht von ungefähr auf euch trete. Mit dem einen Fuss
 stiess er den rothen Mann über den Okonnee und mit dem anderen
 trat er die Gräber seiner Väter nieder. Aber unser
 grosser Vater liebte doch seine rothen Kinder und änderte bald
 seine Sprache gegen sie. Er sprach viel, aber der Sinn von Allem
 war, nur: geht ein wenig aus dem Wege, ihr seid mir zu nahe. Ich
 habe viele Reden von unserem grossen Vater gehört und alle
 begannen und endeten ebenso« (Waitz 3, 144). Chamisso, einer
 der wenigen, die sich in Deutschland für die Stellung jener
 Völker interessirten, hat dieser Rede ergreifenden Ausdruck
 verliehen in einem seiner Gedichte (Werke 4, 86). Sie ist bekannt
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 ändern musste durch die plötzlich hereinbrechende Kultur,
 wird auch wenn keine Halbheiten, Ungeschicklichkeiten u. dergl.
 vorkommen, wenn alles gleich so trefflich als möglich
 eingerichtet wäre, den gefahrvollsten Einfluss auf die
 Naturvölker haben und je mehr, je plötzlicher sie kommt.
 Denn je länger physische Gewohnheiten schon bestehen, um so
 fester sind sie und um so gefährlicher ist es für die
 menschliche Natur, wenn sie plötzlich gebrochen werden sollen.
 Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze unterworfen: dem
 Gesetze der Beharrlichkeit. Wie eine Flüssigkeit, welche man
 in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat, diesem Laufe immer
 williger und rascher folgt, aber wild in ungeordnete Wirbel
 zusammenschäumt, wenn man sie nach der entgegengesetzten
 Richtung hin zwingen will, bis sie sich endlich und allmählich
 diesem Neuen gewöhnt: so musste das natürliche Leben
 dieser Völker in Aufregung und Unordnung kommen, als es so
 plötzlich von der übermächtigen Kultur unterbrochen
 wurde, an die es sich erst langsam und sehr allmählich
 gewöhnen wird. So werden denn einzelne wohl, nie aber ein
 ganzes Volk rasch und plötzlich sich eine so totale
 Umänderung, wie hier nöthig, und käme sie unter den
 günstigsten Bedingungen (was hier leider nicht geschah),
 aneignen können. Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen,
 die wir vorhin Dieffenbach entlehnten, dass die Neuseeländer,
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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/100>, abgerufen am 25.04.2024.