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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Religion (Waitz 4, 128) war es, welche ihnen ihre hohe und reine Moral eingab, deren Grundgedanke -- zugleich ihr festester und untrüglichster Schwur (Waitz 4, 154) -- war: sieht mich nicht unser Gott? Und alles, was die Religion schweres von ihnen forderte, wurde treu und gewissenhaft und mit ächter und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez eigenem Zeugniss (Waitz 4, 154) ausgeführt, Ihre vielen Eroberungskriege waren, wie wir schon sahen, alle von dem Gedanken geleitet, ihre Religion auszubreiten über alle Welt. Nicht anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die Peruaner. Gleichfalls in hohem Grade gottesfürchtig sind die Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet unternehmen, die alle schweren von der Religion verlangten Peinigungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit vollführen. Und so haben alle diese Völker überall zähe an ihren Religionen gehalten.

Etwas anders steht die Sache in Polynesien. Nicht als ob die polynesischen Völker nicht von gleich tiefer Religiosität wären; was z. B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen, in deren Hand jetzt der grösste Theil der Südseemission ist. Aber die ganze Bevölkerung war sittlich minder rein als die Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung, wie Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch des geistigen Verfalls. Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen, über ihren früheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn aufzugeben. Doch auch sie fügen sich und nicht bloss aus Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschränkendsten Gesetzen ihrer Religion, z. B. den Tabu-Gesetzen, d.h. den Bestimmungen, durch welche Gegenstände aller Art heilig gesprochen und dem unheiligen Volk gänzlich entzogen werden, sowie der übergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand aufgegeben, wo sie durch die Mission wirklichen religiösen Ersatz bekamen. Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion, mochten sie absichtlich oder nur zufällig sein, haben sie sich immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge Ueberfälle, Kriege, ja Cooks Tod selbst sind nur durch solche Verletzungen ihrer Tempelplätze oder sonstigen Heiligthümer hervorgerufen.

Aber selbstverständlich war es gerade die Religion, gegen welche sich die heftigsten und ersten Angriffe der Kulturvölker richteten. Das brauchte nicht mit der brutalen Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten, der Laplace, Dupetitthouars u. s. w. in der Südsee zu geschehen: auch die edelsten der Europäer mussten sich gegen diese Religionen wenden, um sie zu zerstören, und so sahen die Eingeborenen ihr Heiligstes vernichtet, ja als durchaus schlecht und

Religion (Waitz 4, 128) war es, welche ihnen ihre hohe und reine Moral eingab, deren Grundgedanke — zugleich ihr festester und untrüglichster Schwur (Waitz 4, 154) — war: sieht mich nicht unser Gott? Und alles, was die Religion schweres von ihnen forderte, wurde treu und gewissenhaft und mit ächter und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez eigenem Zeugniss (Waitz 4, 154) ausgeführt, Ihre vielen Eroberungskriege waren, wie wir schon sahen, alle von dem Gedanken geleitet, ihre Religion auszubreiten über alle Welt. Nicht anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die Peruaner. Gleichfalls in hohem Grade gottesfürchtig sind die Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet unternehmen, die alle schweren von der Religion verlangten Peinigungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit vollführen. Und so haben alle diese Völker überall zähe an ihren Religionen gehalten.

Etwas anders steht die Sache in Polynesien. Nicht als ob die polynesischen Völker nicht von gleich tiefer Religiosität wären; was z. B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen, in deren Hand jetzt der grösste Theil der Südseemission ist. Aber die ganze Bevölkerung war sittlich minder rein als die Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung, wie Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch des geistigen Verfalls. Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen, über ihren früheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn aufzugeben. Doch auch sie fügen sich und nicht bloss aus Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschränkendsten Gesetzen ihrer Religion, z. B. den Tabu-Gesetzen, d.h. den Bestimmungen, durch welche Gegenstände aller Art heilig gesprochen und dem unheiligen Volk gänzlich entzogen werden, sowie der übergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand aufgegeben, wo sie durch die Mission wirklichen religiösen Ersatz bekamen. Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion, mochten sie absichtlich oder nur zufällig sein, haben sie sich immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge Ueberfälle, Kriege, ja Cooks Tod selbst sind nur durch solche Verletzungen ihrer Tempelplätze oder sonstigen Heiligthümer hervorgerufen.

Aber selbstverständlich war es gerade die Religion, gegen welche sich die heftigsten und ersten Angriffe der Kulturvölker richteten. Das brauchte nicht mit der brutalen Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten, der Laplace, Dupetitthouars u. s. w. in der Südsee zu geschehen: auch die edelsten der Europäer mussten sich gegen diese Religionen wenden, um sie zu zerstören, und so sahen die Eingeborenen ihr Heiligstes vernichtet, ja als durchaus schlecht und

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 und mit ächter und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez
 eigenem Zeugniss (Waitz 4, 154) ausgeführt, Ihre vielen
 Eroberungskriege waren, wie wir schon sahen, alle von dem Gedanken
 geleitet, ihre Religion auszubreiten über alle Welt. Nicht
 anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die Peruaner.
 Gleichfalls in hohem Grade gottesfürchtig sind die
 Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet
 unternehmen, die alle schweren von der Religion verlangten
 Peinigungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit
 vollführen. Und so haben alle diese Völker überall
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 Aber die ganze Bevölkerung war sittlich minder rein als die
 Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung, wie
 Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch des geistigen
 Verfalls. Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass
 die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach
 Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen,
 über ihren früheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn
 aufzugeben. Doch auch sie fügen sich und nicht bloss aus
 Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschränkendsten
 Gesetzen ihrer Religion, z. B. den Tabu-Gesetzen, d.h. den
 Bestimmungen, durch welche Gegenstände aller Art heilig
 gesprochen und dem unheiligen Volk gänzlich entzogen werden,
 sowie der übergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und
 nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand
 aufgegeben, wo sie durch die Mission wirklichen religiösen
 Ersatz bekamen. Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion,
 mochten sie absichtlich oder nur zufällig sein, haben sie sich
 immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge
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 Kulturvölker richteten. Das brauchte nicht mit der brutalen
 Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der
 Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten, der Laplace,
 Dupetitthouars u. s. w. in der Südsee zu geschehen: auch die
 edelsten der Europäer mussten sich gegen diese Religionen
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[0102] Religion (Waitz 4, 128) war es, welche ihnen ihre hohe und reine Moral eingab, deren Grundgedanke — zugleich ihr festester und untrüglichster Schwur (Waitz 4, 154) — war: sieht mich nicht unser Gott? Und alles, was die Religion schweres von ihnen forderte, wurde treu und gewissenhaft und mit ächter und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez eigenem Zeugniss (Waitz 4, 154) ausgeführt, Ihre vielen Eroberungskriege waren, wie wir schon sahen, alle von dem Gedanken geleitet, ihre Religion auszubreiten über alle Welt. Nicht anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die Peruaner. Gleichfalls in hohem Grade gottesfürchtig sind die Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet unternehmen, die alle schweren von der Religion verlangten Peinigungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit vollführen. Und so haben alle diese Völker überall zähe an ihren Religionen gehalten. Etwas anders steht die Sache in Polynesien. Nicht als ob die polynesischen Völker nicht von gleich tiefer Religiosität wären; was z. B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen, in deren Hand jetzt der grösste Theil der Südseemission ist. Aber die ganze Bevölkerung war sittlich minder rein als die Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung, wie Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch des geistigen Verfalls. Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen, über ihren früheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn aufzugeben. Doch auch sie fügen sich und nicht bloss aus Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschränkendsten Gesetzen ihrer Religion, z. B. den Tabu-Gesetzen, d.h. den Bestimmungen, durch welche Gegenstände aller Art heilig gesprochen und dem unheiligen Volk gänzlich entzogen werden, sowie der übergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand aufgegeben, wo sie durch die Mission wirklichen religiösen Ersatz bekamen. Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion, mochten sie absichtlich oder nur zufällig sein, haben sie sich immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge Ueberfälle, Kriege, ja Cooks Tod selbst sind nur durch solche Verletzungen ihrer Tempelplätze oder sonstigen Heiligthümer hervorgerufen. Aber selbstverständlich war es gerade die Religion, gegen welche sich die heftigsten und ersten Angriffe der Kulturvölker richteten. Das brauchte nicht mit der brutalen Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten, der Laplace, Dupetitthouars u. s. w. in der Südsee zu geschehen: auch die edelsten der Europäer mussten sich gegen diese Religionen wenden, um sie zu zerstören, und so sahen die Eingeborenen ihr Heiligstes vernichtet, ja als durchaus schlecht und

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/102>, abgerufen am 18.04.2024.