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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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hier ganz fehlerlos zu handeln bei weitem menschliche Kraft -- nach dieser Seite haben beide Kirchen viel verfehlt; die katholische durch oft ganz beispiellos leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig bestehen liess (Beispiele für diese harte Behauptung liefern die Annales de la propagation de la foi, Michelis und Lutteroth genug; wir führen einzelnes der Kürze halber nicht an), die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges Steifen auf die abstrakten Lehrsätze. Doch wird jeder Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer Seite sehen müssen, wenn wir auch fern sind, zu verkennen, was die katholische Kirche grosses geleistet hat. Männer wie Las Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast der einzige Schutz der unterdrückten Amerikaner waren, so viele Jesuiten, die mit dem grössten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr für das Christenthum unterzogen, wie z. B. der gewaltige San Vitores auf den blutgetränkten Marianen: alle diese Männer müssen in erster Reihe genannt werden, wenn es sich um Darstellung der Verdienste der Mission handelt.

Man mache die Naturvölker erst zu Menschen, dann zu Christen; man bilde sie langsam zu der und durch die Kultur vor, deren höchste Blüthe das Christenthum ja eben sein will. Nicht Wissen und Erkennen, und wäre es der höchsten Weisheit, Thätigkeit vielmehr und selbständiges Bauen des eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche Kraft: diese wecke, gestalte, befördere man und man wird das Christenthum fördern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher, welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen, durch die Bruchstücke von Kultur, welche sie den Eingeborenen mittheilten, dem Christenthum und den Missionären den Weg gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen lehrten. Will man aber ohne genügende Vorbereitung rasch Erfolge sehen, so wird man nichts wirken; die Missionsberichte (beider Confessionen) beweisen zur Genüge, wie thöricht ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergröbsten Selbsttäuschungen führt. Nur die liebevollste Arbeit und aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen und bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den Naturvölkern zu, die Höhe der Bildung im Fluge zu ersteigen, welche die begabtesten Kulturvölker im Laufe von Jahrtausenden und mit so häufigem Rückfall, so heissem Kampfe, so stetiger Arbeit sich errungen haben.

Aber auch die weltliche Macht muss Hülfe bringen; zunächst negativ, indem sie nicht duldet, dass andere, was die Missionäre bauen, untergraben und einreissen; und ferner positiv, indem sie das von jenen begonnene weiterführt. Sie muss die Eingeborenen in ihren natürlichen Rechten schützen, das Eigenthumsrecht an den

hier ganz fehlerlos zu handeln bei weitem menschliche Kraft — nach dieser Seite haben beide Kirchen viel verfehlt; die katholische durch oft ganz beispiellos leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig bestehen liess (Beispiele für diese harte Behauptung liefern die Annales de la propagation de la foi, Michelis und Lutteroth genug; wir führen einzelnes der Kürze halber nicht an), die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges Steifen auf die abstrakten Lehrsätze. Doch wird jeder Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer Seite sehen müssen, wenn wir auch fern sind, zu verkennen, was die katholische Kirche grosses geleistet hat. Männer wie Las Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast der einzige Schutz der unterdrückten Amerikaner waren, so viele Jesuiten, die mit dem grössten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr für das Christenthum unterzogen, wie z. B. der gewaltige San Vitores auf den blutgetränkten Marianen: alle diese Männer müssen in erster Reihe genannt werden, wenn es sich um Darstellung der Verdienste der Mission handelt.

Man mache die Naturvölker erst zu Menschen, dann zu Christen; man bilde sie langsam zu der und durch die Kultur vor, deren höchste Blüthe das Christenthum ja eben sein will. Nicht Wissen und Erkennen, und wäre es der höchsten Weisheit, Thätigkeit vielmehr und selbständiges Bauen des eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche Kraft: diese wecke, gestalte, befördere man und man wird das Christenthum fördern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher, welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen, durch die Bruchstücke von Kultur, welche sie den Eingeborenen mittheilten, dem Christenthum und den Missionären den Weg gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen lehrten. Will man aber ohne genügende Vorbereitung rasch Erfolge sehen, so wird man nichts wirken; die Missionsberichte (beider Confessionen) beweisen zur Genüge, wie thöricht ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergröbsten Selbsttäuschungen führt. Nur die liebevollste Arbeit und aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen und bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den Naturvölkern zu, die Höhe der Bildung im Fluge zu ersteigen, welche die begabtesten Kulturvölker im Laufe von Jahrtausenden und mit so häufigem Rückfall, so heissem Kampfe, so stetiger Arbeit sich errungen haben.

Aber auch die weltliche Macht muss Hülfe bringen; zunächst negativ, indem sie nicht duldet, dass andere, was die Missionäre bauen, untergraben und einreissen; und ferner positiv, indem sie das von jenen begonnene weiterführt. Sie muss die Eingeborenen in ihren natürlichen Rechten schützen, das Eigenthumsrecht an den

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 beispiellos leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig
 bestehen liess (Beispiele für diese harte Behauptung liefern
 die Annales de la propagation de la foi, Michelis und Lutteroth
 genug; wir führen einzelnes der Kürze halber nicht an),
 die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges
 Steifen auf die abstrakten Lehrsätze. Doch wird jeder
 Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer
 Seite sehen müssen, wenn wir auch fern sind, zu verkennen, was
 die katholische Kirche grosses geleistet hat. Männer wie Las
 Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast der einzige
 Schutz der unterdrückten Amerikaner waren, so viele Jesuiten,
 die mit dem grössten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr
 für das Christenthum unterzogen, wie z. B. der gewaltige San
 Vitores auf den blutgetränkten Marianen: alle diese
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 Weisheit, Thätigkeit vielmehr und selbständiges Bauen des
 eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche
 Kraft: diese wecke, gestalte, befördere man und man wird das
 Christenthum fördern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher,
 welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an
 verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen, durch die
 Bruchstücke von Kultur, welche sie den Eingeborenen
 mittheilten, dem Christenthum und den Missionären den Weg
 gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten
 und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen
 lehrten. Will man aber ohne genügende Vorbereitung rasch
 Erfolge sehen, so wird man nichts wirken; die Missionsberichte
 (beider Confessionen) beweisen zur Genüge, wie thöricht
 ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergröbsten
 Selbsttäuschungen führt. Nur die liebevollste Arbeit und
 aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen
 und bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den
 Naturvölkern zu, die Höhe der Bildung im Fluge zu
 ersteigen, welche die begabtesten Kulturvölker im Laufe von
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[0151] hier ganz fehlerlos zu handeln bei weitem menschliche Kraft — nach dieser Seite haben beide Kirchen viel verfehlt; die katholische durch oft ganz beispiellos leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig bestehen liess (Beispiele für diese harte Behauptung liefern die Annales de la propagation de la foi, Michelis und Lutteroth genug; wir führen einzelnes der Kürze halber nicht an), die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges Steifen auf die abstrakten Lehrsätze. Doch wird jeder Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer Seite sehen müssen, wenn wir auch fern sind, zu verkennen, was die katholische Kirche grosses geleistet hat. Männer wie Las Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast der einzige Schutz der unterdrückten Amerikaner waren, so viele Jesuiten, die mit dem grössten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr für das Christenthum unterzogen, wie z. B. der gewaltige San Vitores auf den blutgetränkten Marianen: alle diese Männer müssen in erster Reihe genannt werden, wenn es sich um Darstellung der Verdienste der Mission handelt. Man mache die Naturvölker erst zu Menschen, dann zu Christen; man bilde sie langsam zu der und durch die Kultur vor, deren höchste Blüthe das Christenthum ja eben sein will. Nicht Wissen und Erkennen, und wäre es der höchsten Weisheit, Thätigkeit vielmehr und selbständiges Bauen des eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche Kraft: diese wecke, gestalte, befördere man und man wird das Christenthum fördern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher, welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen, durch die Bruchstücke von Kultur, welche sie den Eingeborenen mittheilten, dem Christenthum und den Missionären den Weg gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen lehrten. Will man aber ohne genügende Vorbereitung rasch Erfolge sehen, so wird man nichts wirken; die Missionsberichte (beider Confessionen) beweisen zur Genüge, wie thöricht ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergröbsten Selbsttäuschungen führt. Nur die liebevollste Arbeit und aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen und bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den Naturvölkern zu, die Höhe der Bildung im Fluge zu ersteigen, welche die begabtesten Kulturvölker im Laufe von Jahrtausenden und mit so häufigem Rückfall, so heissem Kampfe, so stetiger Arbeit sich errungen haben. Aber auch die weltliche Macht muss Hülfe bringen; zunächst negativ, indem sie nicht duldet, dass andere, was die Missionäre bauen, untergraben und einreissen; und ferner positiv, indem sie das von jenen begonnene weiterführt. Sie muss die Eingeborenen in ihren natürlichen Rechten schützen, das Eigenthumsrecht an den

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/151>, abgerufen am 25.04.2024.