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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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schlacht stets das eigene Leben in Gefahr setzt, für Thorheit, ihr Krieg bestand nur in Ablauern des Feindes, in Ueberfall und Hinterhalt; daher er denn, dem entsprechend, minder durch Tapferkeit als durch Schnelligkeit, Schlauheit und Verwegenheit geführt wurde. Aber dafür endete auch der Krieg bei ihnen nie: denn Grenzverletzungen oder Blutrache, sowie Rache für Zauberei (durch die man jeden Todesfall, namentlich aber den Tod von Häuptlingen verursacht glaubte) oder alter, einmal eingewurzelter und durch stets neue schlimme Thaten niemals verlöschender Stammhass erregten ihn immer aufs Neue. Und gerade diese versteckte, fast feige scheinende Art, wie sie den Krieg führten, brachte oft ein furchtbares Blutvergiessen hervor, da bei den Ueberfällen der meist unvorbereitete und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind niedergemetzelt wurde, schon der Skalpe wegen, deren Erbeutung ja den Siegern die grösste Herzenssache und Ehre war. In Virginien zwar und bei den Huronen wurden Weiber und Kinder meist zu Gefangenen gemacht; war der Kampf aber lang und erbittert gewesen, so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie die Arme heben konnten (Waitz 3, 150-154). Und gefangene Feinde, die Männer wurden ja von diesen Völkern wie bekannt so gut wie immer getödtet. Dass aber solche Kriege der Existenz ganzer Völker verhängnissvoll geworden sind und also, als für ihr Aussterben grundlegend, recht eigentlich zu unserer Betrachtung gehören, dafür hat Waitz, was Amerika betrifft, 1, 165, Zeugnisse gesammelt. "Die Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle, wurden durch die Hundsrippenindianer (Hearne) fast vertilgt, die Moquis durch die Navajos im hohen Grade geschwächt (Schoolcraft), die Osagen durch ihre erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die Hälfte ihrer früheren Anzahl reducirt. Der kleine Rest des besiegten Volkes wird dann nicht selten von dem siegenden in sich aufgenommen und sein Name verschwindet von da an aus der Geschichte. Auf diese Weise sollen z. B. die Creecks allmählich die Reste von 15 anderen Stämmen verschlungen haben." Auch die Irokesen (Waitz 3, 155) haben ausserordentlich durch derartige Kriege gelitten. Jenseits des Felsengebirges sind die Kriege viel milder und thun im Ganzen wenig Schaden (3, 338) und ebenso ist es auch bei den Oregonvölkern, wenn diese gleich viel kräftiger zu sein schienen als die Nulkas und Chinooks.

Der Kannibalismus, welcher vom Kriege nicht zu trennen ist, hat auf die Völker Nordamerikas keinen sehr bedeutenden und für ihre Zahl durchaus ungefährlichen Einfluss gehabt. Er findet sich bei manchen Völkern, z. B. den nördlichen Athapasken, den Hasenindianern, Nipissangs, den Crees, Ojibways, doch ist bei allen diesen das Entsetzen vor der That ein ganz ausserordentliches. Ebenfalls findet er sich, und durch gleiche Veranlassung, bei den

schlacht stets das eigene Leben in Gefahr setzt, für Thorheit, ihr Krieg bestand nur in Ablauern des Feindes, in Ueberfall und Hinterhalt; daher er denn, dem entsprechend, minder durch Tapferkeit als durch Schnelligkeit, Schlauheit und Verwegenheit geführt wurde. Aber dafür endete auch der Krieg bei ihnen nie: denn Grenzverletzungen oder Blutrache, sowie Rache für Zauberei (durch die man jeden Todesfall, namentlich aber den Tod von Häuptlingen verursacht glaubte) oder alter, einmal eingewurzelter und durch stets neue schlimme Thaten niemals verlöschender Stammhass erregten ihn immer aufs Neue. Und gerade diese versteckte, fast feige scheinende Art, wie sie den Krieg führten, brachte oft ein furchtbares Blutvergiessen hervor, da bei den Ueberfällen der meist unvorbereitete und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind niedergemetzelt wurde, schon der Skalpe wegen, deren Erbeutung ja den Siegern die grösste Herzenssache und Ehre war. In Virginien zwar und bei den Huronen wurden Weiber und Kinder meist zu Gefangenen gemacht; war der Kampf aber lang und erbittert gewesen, so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie die Arme heben konnten (Waitz 3, 150-154). Und gefangene Feinde, die Männer wurden ja von diesen Völkern wie bekannt so gut wie immer getödtet. Dass aber solche Kriege der Existenz ganzer Völker verhängnissvoll geworden sind und also, als für ihr Aussterben grundlegend, recht eigentlich zu unserer Betrachtung gehören, dafür hat Waitz, was Amerika betrifft, 1, 165, Zeugnisse gesammelt. »Die Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle, wurden durch die Hundsrippenindianer (Hearne) fast vertilgt, die Moquis durch die Navajos im hohen Grade geschwächt (Schoolcraft), die Osagen durch ihre erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die Hälfte ihrer früheren Anzahl reducirt. Der kleine Rest des besiegten Volkes wird dann nicht selten von dem siegenden in sich aufgenommen und sein Name verschwindet von da an aus der Geschichte. Auf diese Weise sollen z. B. die Creecks allmählich die Reste von 15 anderen Stämmen verschlungen haben.« Auch die Irokesen (Waitz 3, 155) haben ausserordentlich durch derartige Kriege gelitten. Jenseits des Felsengebirges sind die Kriege viel milder und thun im Ganzen wenig Schaden (3, 338) und ebenso ist es auch bei den Oregonvölkern, wenn diese gleich viel kräftiger zu sein schienen als die Nulkas und Chinooks.

Der Kannibalismus, welcher vom Kriege nicht zu trennen ist, hat auf die Völker Nordamerikas keinen sehr bedeutenden und für ihre Zahl durchaus ungefährlichen Einfluss gehabt. Er findet sich bei manchen Völkern, z. B. den nördlichen Athapasken, den Hasenindianern, Nipissangs, den Crees, Ojibways, doch ist bei allen diesen das Entsetzen vor der That ein ganz ausserordentliches. Ebenfalls findet er sich, und durch gleiche Veranlassung, bei den

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 Schlauheit und Verwegenheit geführt wurde. Aber dafür
 endete auch der Krieg bei ihnen nie: denn Grenzverletzungen oder
 Blutrache, sowie Rache für Zauberei (durch die man jeden
 Todesfall, namentlich aber den Tod von Häuptlingen verursacht
 glaubte) oder alter, einmal eingewurzelter und durch stets neue
 schlimme Thaten niemals verlöschender Stammhass erregten ihn
 immer aufs Neue. Und gerade diese versteckte, fast feige scheinende
 Art, wie sie den Krieg führten, brachte oft ein furchtbares
 Blutvergiessen hervor, da bei den Ueberfällen der meist
 unvorbereitete und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind
 niedergemetzelt wurde, schon der Skalpe wegen, deren Erbeutung ja
 den Siegern die grösste Herzenssache und Ehre war. In
 Virginien zwar und bei den Huronen wurden Weiber und Kinder meist
 zu Gefangenen gemacht; war der Kampf aber lang und erbittert
 gewesen, so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie die Arme
 heben konnten (Waitz 3, 150-154). Und gefangene Feinde, die
 Männer wurden ja von diesen Völkern wie bekannt so gut
 wie immer getödtet. Dass aber solche Kriege der Existenz
 ganzer Völker verhängnissvoll geworden sind und also, als
 für ihr Aussterben grundlegend, recht eigentlich zu unserer
 Betrachtung gehören, dafür hat Waitz, was Amerika
 betrifft, 1, 165, Zeugnisse gesammelt. »Die
 Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle, wurden durch die
 Hundsrippenindianer (Hearne) fast vertilgt, die Moquis durch die
 Navajos im hohen Grade geschwächt (Schoolcraft), die Osagen
 durch ihre erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die
 Hälfte ihrer früheren Anzahl reducirt. Der kleine Rest
 des besiegten Volkes wird dann nicht selten von dem siegenden in
 sich aufgenommen und sein Name verschwindet von da an aus der
 Geschichte. Auf diese Weise sollen z. B. die Creecks allmählich
 die Reste von 15 anderen Stämmen verschlungen haben.«
 Auch die Irokesen (Waitz 3, 155) haben ausserordentlich durch
 derartige Kriege gelitten. Jenseits des Felsengebirges sind die
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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/74>, abgerufen am 28.03.2024.