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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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ungünstiger gestellt ist Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so steil und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht bewohnt werden können, oder grosse unfruchtbare Strecken hinter ihren meist üppigen Uferstrecken bergen, wie die Fidschis und viele der Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch und durch bewohnbar wären, doch schon durch ihre verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefährlichen Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine Küstenschifffahrt ganz unmöglich. Grosse Thiere gibt es gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten Schwein und einigen Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast abgelegt haben und Mastvieh geworden sind. Nutzpflanzen gibt es genug, aber so reichlich, dass weder geistige noch leibliche Anstrengung, ja kaum Thätigkeit nöthig ist, um hinlänglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf Neuseeland (natürlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten. Und nun gar die kleineren Inseln, die fast immer unfruchtbaren Korallenringe, welche meist, wie im östlichen Polynesien und in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen kümmerlich nährenden Früchten und, aber noch nicht einmal überall, z. B. in der nördlichen Ratakkette nicht, die Kokospalme hervorbringen, den Brotbaum und die anderen Nahrungspflanzen der Südsee, welche feuchten Boden verlangen, wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach sehr mühevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen lassen, Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen. Dazu kommt, dass grässliche Orkane, denen nichts zu widerstehen vermag, auf Tahiti, den Paumotu- und Herveyinseln, auf Tonga, den Karolinen, den Marianen, kurz so ziemlich überall, die Vegetation gar nicht selten so vollständig vernichten, dass äusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln südlich vom Aequator sollen Stürme der Art nach Mörenhout (2, 365) nicht öfter als alle 8-10 Jahre vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche Entwickelung der Bevölkerung unmöglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist so, dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern erzählt, dort und auch sonst noch (z. B. auf Tikopia) geradezu gesetzlich regulirte, um die Inseln vor Uebervölkerung zu behüten; begreiflich ferner, wie Hochstetter auf den Gedanken kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger eingeführt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht richtig, wie sich leicht aus dem was wir über den Kannibalismus schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher, dass in einzelnen Gegenden Polynesiens, z. B. in Nukuhiva, bisweilen der Hunger zum Auffressen naher Verwandten

ungünstiger gestellt ist Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so steil und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht bewohnt werden können, oder grosse unfruchtbare Strecken hinter ihren meist üppigen Uferstrecken bergen, wie die Fidschis und viele der Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch und durch bewohnbar wären, doch schon durch ihre verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefährlichen Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine Küstenschifffahrt ganz unmöglich. Grosse Thiere gibt es gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten Schwein und einigen Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast abgelegt haben und Mastvieh geworden sind. Nutzpflanzen gibt es genug, aber so reichlich, dass weder geistige noch leibliche Anstrengung, ja kaum Thätigkeit nöthig ist, um hinlänglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf Neuseeland (natürlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten. Und nun gar die kleineren Inseln, die fast immer unfruchtbaren Korallenringe, welche meist, wie im östlichen Polynesien und in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen kümmerlich nährenden Früchten und, aber noch nicht einmal überall, z. B. in der nördlichen Ratakkette nicht, die Kokospalme hervorbringen, den Brotbaum und die anderen Nahrungspflanzen der Südsee, welche feuchten Boden verlangen, wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach sehr mühevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen lassen, Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen. Dazu kommt, dass grässliche Orkane, denen nichts zu widerstehen vermag, auf Tahiti, den Paumotu- und Herveyinseln, auf Tonga, den Karolinen, den Marianen, kurz so ziemlich überall, die Vegetation gar nicht selten so vollständig vernichten, dass äusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln südlich vom Aequator sollen Stürme der Art nach Mörenhout (2, 365) nicht öfter als alle 8-10 Jahre vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche Entwickelung der Bevölkerung unmöglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist so, dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern erzählt, dort und auch sonst noch (z. B. auf Tikopia) geradezu gesetzlich regulirte, um die Inseln vor Uebervölkerung zu behüten; begreiflich ferner, wie Hochstetter auf den Gedanken kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger eingeführt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht richtig, wie sich leicht aus dem was wir über den Kannibalismus schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher, dass in einzelnen Gegenden Polynesiens, z. B. in Nukuhiva, bisweilen der Hunger zum Auffressen naher Verwandten

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 Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so
 steil und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht
 bewohnt werden können, oder grosse unfruchtbare Strecken
 hinter ihren meist üppigen Uferstrecken bergen, wie die
 Fidschis und viele der Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch
 und durch bewohnbar wären, doch schon durch ihre
 verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefährlichen
 Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die
 Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine
 Küstenschifffahrt ganz unmöglich. Grosse Thiere gibt es
 gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten
 Schwein und einigen Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast
 abgelegt haben und Mastvieh geworden sind. Nutzpflanzen gibt es
 genug, aber so reichlich, dass weder geistige noch leibliche
 Anstrengung, ja kaum Thätigkeit nöthig ist, um
 hinlänglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf
 Neuseeland (natürlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz
 aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten.
 Und nun gar die kleineren Inseln, die fast immer unfruchtbaren
 Korallenringe, welche meist, wie im östlichen Polynesien und
 in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen kümmerlich
 nährenden Früchten und, aber noch nicht einmal
 überall, z. B. in der nördlichen Ratakkette nicht, die
 Kokospalme hervorbringen, den Brotbaum und die anderen
 Nahrungspflanzen der Südsee, welche feuchten Boden verlangen,
 wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach sehr
 mühevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen
 lassen, Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen.
 Dazu kommt, dass grässliche Orkane, denen nichts zu
 widerstehen vermag, auf Tahiti, den Paumotu- und Herveyinseln, auf
 Tonga, den Karolinen, den Marianen, kurz so ziemlich überall,
 die Vegetation gar nicht selten so vollständig vernichten,
 dass äusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln
 südlich vom Aequator sollen Stürme der Art nach
 Mörenhout (2, 365) nicht öfter als alle 8-10 Jahre
 vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche Entwickelung der
 Bevölkerung unmöglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist so,
 dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken
 ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie
 Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern
 erzählt, dort und auch sonst noch (z. B. auf Tikopia) geradezu
 gesetzlich regulirte, um die Inseln vor Uebervölkerung zu
 behüten; begreiflich ferner, wie Hochstetter auf den Gedanken
 kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger
 eingeführt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht
 richtig, wie sich leicht aus dem was wir über den
 Kannibalismus schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher,
 dass in einzelnen Gegenden Polynesiens, z. B. in Nukuhiva, bisweilen
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[0095] ungünstiger gestellt ist Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so steil und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht bewohnt werden können, oder grosse unfruchtbare Strecken hinter ihren meist üppigen Uferstrecken bergen, wie die Fidschis und viele der Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch und durch bewohnbar wären, doch schon durch ihre verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefährlichen Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine Küstenschifffahrt ganz unmöglich. Grosse Thiere gibt es gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten Schwein und einigen Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast abgelegt haben und Mastvieh geworden sind. Nutzpflanzen gibt es genug, aber so reichlich, dass weder geistige noch leibliche Anstrengung, ja kaum Thätigkeit nöthig ist, um hinlänglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf Neuseeland (natürlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten. Und nun gar die kleineren Inseln, die fast immer unfruchtbaren Korallenringe, welche meist, wie im östlichen Polynesien und in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen kümmerlich nährenden Früchten und, aber noch nicht einmal überall, z. B. in der nördlichen Ratakkette nicht, die Kokospalme hervorbringen, den Brotbaum und die anderen Nahrungspflanzen der Südsee, welche feuchten Boden verlangen, wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach sehr mühevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen lassen, Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen. Dazu kommt, dass grässliche Orkane, denen nichts zu widerstehen vermag, auf Tahiti, den Paumotu- und Herveyinseln, auf Tonga, den Karolinen, den Marianen, kurz so ziemlich überall, die Vegetation gar nicht selten so vollständig vernichten, dass äusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln südlich vom Aequator sollen Stürme der Art nach Mörenhout (2, 365) nicht öfter als alle 8-10 Jahre vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche Entwickelung der Bevölkerung unmöglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist so, dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern erzählt, dort und auch sonst noch (z. B. auf Tikopia) geradezu gesetzlich regulirte, um die Inseln vor Uebervölkerung zu behüten; begreiflich ferner, wie Hochstetter auf den Gedanken kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger eingeführt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht richtig, wie sich leicht aus dem was wir über den Kannibalismus schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher, dass in einzelnen Gegenden Polynesiens, z. B. in Nukuhiva, bisweilen der Hunger zum Auffressen naher Verwandten

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/95>, abgerufen am 18.04.2024.