Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Bey den Fortschritten, welche die mechani-
schen Künste seit einem Jahrhundert mit
Hilfe der höheren Mathematik machten, traf
die Baukunst das unverdiente Schicksal ziem-
lich weit hinter den übrigen zurückzubleiben.

Leibnitz und die Bernoullyen hatten zwar
auch einigen Saamen zu ihrer Vervollkommnung
gestreuet, indem sie die Kettenlinie für die
schicklichste zu Gewölben erklärten. Allein außer
dem, daß sich diese Linie mit dem guten Ge-
schmack der Alten nicht vertragen wollte, konn-
ten, oder wußten die Baumeister von derselben
keinen vortheilhaften Gebrauch zu machen, weil
sie mehr die Schwerpunkte der Gewolbsteine
als die Lehrbögen anzugehen schien. Belidor
hielt sich daher an die gemeinen Zirkelgewölbe.
Seine Sätze aus denen er die Widerlagen be-
rechnet, gründen sich jedoch in Rücksicht des
Druckes sowohl als des Widerstandes auf so
willkührliche Hypothesen, daß er bey der Aus-
übung selbst gegen sie mistrauisch wird, und
Sicherheits halber den Widerlagen an Dicke
zuzugeben anräth. Frist, der alles prüfte,
was hierüber bis zu seiner Zeit gesagt wor-
den, ändert Belidors Zerlegung der Kräfte
unrecht, und bleibt übrigens bey allen mangelba-
ren Voraussetzungen, worauf dieser gebauet
hatte.

Unsere
a 2

Bey den Fortſchritten, welche die mechani-
ſchen Kuͤnſte ſeit einem Jahrhundert mit
Hilfe der hoͤheren Mathematik machten, traf
die Baukunſt das unverdiente Schickſal ziem-
lich weit hinter den uͤbrigen zuruͤckzubleiben.

Leibnitz und die Bernoullyen hatten zwar
auch einigen Saamen zu ihrer Vervollkommnung
geſtreuet, indem ſie die Kettenlinie fuͤr die
ſchicklichſte zu Gewoͤlben erklaͤrten. Allein außer
dem, daß ſich dieſe Linie mit dem guten Ge-
ſchmack der Alten nicht vertragen wollte, konn-
ten, oder wußten die Baumeiſter von derſelben
keinen vortheilhaften Gebrauch zu machen, weil
ſie mehr die Schwerpunkte der Gewolbſteine
als die Lehrboͤgen anzugehen ſchien. Belidor
hielt ſich daher an die gemeinen Zirkelgewoͤlbe.
Seine Saͤtze aus denen er die Widerlagen be-
rechnet, gruͤnden ſich jedoch in Ruͤckſicht des
Druckes ſowohl als des Widerſtandes auf ſo
willkuͤhrliche Hypotheſen, daß er bey der Aus-
uͤbung ſelbſt gegen ſie mistrauiſch wird, und
Sicherheits halber den Widerlagen an Dicke
zuzugeben anraͤth. Friſt, der alles pruͤfte,
was hieruͤber bis zu ſeiner Zeit geſagt wor-
den, aͤndert Belidors Zerlegung der Kraͤfte
unrecht, und bleibt uͤbrigens bey allen mangelba-
ren Vorausſetzungen, worauf dieſer gebauet
hatte.

Unſere
a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0009" n="[3]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head/>
        <p><hi rendition="#in">B</hi>ey den Fort&#x017F;chritten, welche die mechani-<lb/>
&#x017F;chen Ku&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;eit einem Jahrhundert mit<lb/>
Hilfe der ho&#x0364;heren Mathematik machten, traf<lb/>
die Baukun&#x017F;t das unverdiente Schick&#x017F;al ziem-<lb/>
lich weit hinter den u&#x0364;brigen zuru&#x0364;ckzubleiben.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Leibnitz</hi> und die <hi rendition="#fr">Bernoullyen</hi> hatten zwar<lb/>
auch einigen Saamen zu ihrer Vervollkommnung<lb/>
ge&#x017F;treuet, indem &#x017F;ie die Kettenlinie fu&#x0364;r die<lb/>
&#x017F;chicklich&#x017F;te zu Gewo&#x0364;lben erkla&#x0364;rten. Allein außer<lb/>
dem, daß &#x017F;ich die&#x017F;e Linie mit dem guten Ge-<lb/>
&#x017F;chmack der Alten nicht vertragen wollte, konn-<lb/>
ten, oder wußten die Baumei&#x017F;ter von der&#x017F;elben<lb/>
keinen vortheilhaften Gebrauch zu machen, weil<lb/>
&#x017F;ie mehr die Schwerpunkte der Gewolb&#x017F;teine<lb/>
als die Lehrbo&#x0364;gen anzugehen &#x017F;chien. <hi rendition="#fr">Belidor</hi><lb/>
hielt &#x017F;ich daher an die gemeinen Zirkelgewo&#x0364;lbe.<lb/>
Seine Sa&#x0364;tze aus denen er die Widerlagen be-<lb/>
rechnet, gru&#x0364;nden &#x017F;ich jedoch in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht des<lb/>
Druckes &#x017F;owohl als des Wider&#x017F;tandes auf &#x017F;o<lb/>
willku&#x0364;hrliche Hypothe&#x017F;en, daß er bey der Aus-<lb/>
u&#x0364;bung &#x017F;elb&#x017F;t gegen &#x017F;ie mistraui&#x017F;ch wird, und<lb/>
Sicherheits halber den Widerlagen an Dicke<lb/>
zuzugeben anra&#x0364;th. <hi rendition="#fr">Fri&#x017F;t</hi>, der alles pru&#x0364;fte,<lb/>
was hieru&#x0364;ber bis zu &#x017F;einer Zeit ge&#x017F;agt wor-<lb/>
den, a&#x0364;ndert <hi rendition="#fr">Belidors</hi> Zerlegung der Kra&#x0364;fte<lb/>
unrecht, und bleibt u&#x0364;brigens bey allen mangelba-<lb/>
ren Voraus&#x017F;etzungen, worauf die&#x017F;er gebauet<lb/>
hatte.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">a 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Un&#x017F;ere</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0009] Bey den Fortſchritten, welche die mechani- ſchen Kuͤnſte ſeit einem Jahrhundert mit Hilfe der hoͤheren Mathematik machten, traf die Baukunſt das unverdiente Schickſal ziem- lich weit hinter den uͤbrigen zuruͤckzubleiben. Leibnitz und die Bernoullyen hatten zwar auch einigen Saamen zu ihrer Vervollkommnung geſtreuet, indem ſie die Kettenlinie fuͤr die ſchicklichſte zu Gewoͤlben erklaͤrten. Allein außer dem, daß ſich dieſe Linie mit dem guten Ge- ſchmack der Alten nicht vertragen wollte, konn- ten, oder wußten die Baumeiſter von derſelben keinen vortheilhaften Gebrauch zu machen, weil ſie mehr die Schwerpunkte der Gewolbſteine als die Lehrboͤgen anzugehen ſchien. Belidor hielt ſich daher an die gemeinen Zirkelgewoͤlbe. Seine Saͤtze aus denen er die Widerlagen be- rechnet, gruͤnden ſich jedoch in Ruͤckſicht des Druckes ſowohl als des Widerſtandes auf ſo willkuͤhrliche Hypotheſen, daß er bey der Aus- uͤbung ſelbſt gegen ſie mistrauiſch wird, und Sicherheits halber den Widerlagen an Dicke zuzugeben anraͤth. Friſt, der alles pruͤfte, was hieruͤber bis zu ſeiner Zeit geſagt wor- den, aͤndert Belidors Zerlegung der Kraͤfte unrecht, und bleibt uͤbrigens bey allen mangelba- ren Vorausſetzungen, worauf dieſer gebauet hatte. Unſere a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_baukunst_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_baukunst_1789/9
Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_baukunst_1789/9>, abgerufen am 29.03.2024.