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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Schwerpunkt.
§. 74.

Mathematische Linien und Flächen haben zwar im eigentlichen Verstande
keinen Schwerpunkt, weil sie ihrer Natur nach kein Gewicht haben; wenn wir uns jedoch
statt einer Linie ein sehr dünnes Prisma, oder einen Cylinder von sehr kleinem Durchmes-
ser und gleichförmig dichter Materie denken, so wird diese Linie allerdings einen Schwer-
punkt und zwar in ihrer Mitte haben. Eben so wird eine Fläche einen Schwerpunkt
haben, wenn wir uns statt derselben eine Scheibe von unbedeutender Dicke und durchaus
gleichförmig dichter Materie denken.

Wir wollen annehmen, es sey zuerst der Schwerpunkt der Fläche des DreieckesFig.
30.
Tab.
1.

A B C Fig. 30. zu bestimmen. Man halbire eine Seite z. B. B C in a und ziehe A a, so
wird auch eine jede Linie, welche man innerhalb des Dreieckes paralell zu B C zieht,
von der Linie A a halbirt werden. Es enthält demnach die Gerade A a die Schwerpunkte
aller zu B C paralellen Streifen, in welche man die ganze Dreiecksfläche zerlegen könnte;
folglich muss auch der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes A B C in der Linie A a liegen.
Aus demselben Grunde enthält die andere Gerade B b, welche die zweite Dreiecksseite
A C in zwei gleiche Theile theilt, ebenfalls den Schwerpunkt des Dreieckes A B C. Es
muss sich daher in dem Durchschnittspunkte S der zwei Linien A a und B b der Schwer-
punkt des ganzen Dreieckes A B C befinden.

Um die Entfernung dieses Schwerpunktes durch Rechnung zu finden, verbinde man
die Punkte a und b durch eine gerade Linie. Da sich nun die Seiten
C b:C A = C a:C B = 1:2 oder
C b:C a = C A:C B verhalten, so muss a b paralell zu A B seyn, demnach wird auch
das Dreieck b S a dem Dreiecke B S A ähnlich seyn und sich verhalten:
S a:S A = a b:A B = C a:C B = 1:2. Werden in dieser Proportion die ersten zwei
Glieder addirt, so ist auch S a:S A + S a = 1:2 + 1 oder S a:A a = 1:3,
woraus S a = 1/3 (S A + S a) oder S a = 1/3 A a folgt;
auf gleiche Weise ist S b = 1/3 B b.

Hieraus ergibt sich folgende einfache Construktion zur Bestimmung des
Schwerpunktes eines Dreieckes
. Man theile irgend eine von den drei Seiten des
Dreieckes in zwei gleiche Theile und ziehe von diesem Theilungspunkte zu der gegenüber-
liegenden Spitze des Dreieckes eine gerade Linie; wird diese nun in drei gleiche Theile
getheilt, so ist der, der getheilten Dreiecksseite zunächst liegende Theilungspunkt zu-
gleich der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes.

§. 75.

Der Schwerpunkt eines Trapezes M N O P wird auf folgende Art gefunden: Es seyFig.
31.

N O = 1, M N = b und P O = B. Man ziehe aus M die Linie M Q paralell zu N O,
so wird das Trapez in ein Rechteck M N O Q und ein Dreieck M Q P abgetheilt. Der
Schwerpunkt des Rechteckes M N O Q befindet sich in der Mitte m desselben, er ist
nämlich von M N um m r = 1/2 und von N O um m s = [Formel 1] entfernt; der Schwerpunkt

Gerstners Mechanik. Band I. 12
Schwerpunkt.
§. 74.

Mathematische Linien und Flächen haben zwar im eigentlichen Verstande
keinen Schwerpunkt, weil sie ihrer Natur nach kein Gewicht haben; wenn wir uns jedoch
statt einer Linie ein sehr dünnes Prisma, oder einen Cylinder von sehr kleinem Durchmes-
ser und gleichförmig dichter Materie denken, so wird diese Linie allerdings einen Schwer-
punkt und zwar in ihrer Mitte haben. Eben so wird eine Fläche einen Schwerpunkt
haben, wenn wir uns statt derselben eine Scheibe von unbedeutender Dicke und durchaus
gleichförmig dichter Materie denken.

Wir wollen annehmen, es sey zuerst der Schwerpunkt der Fläche des DreieckesFig.
30.
Tab.
1.

A B C Fig. 30. zu bestimmen. Man halbire eine Seite z. B. B C in a und ziehe A a, so
wird auch eine jede Linie, welche man innerhalb des Dreieckes paralell zu B C zieht,
von der Linie A a halbirt werden. Es enthält demnach die Gerade A a die Schwerpunkte
aller zu B C paralellen Streifen, in welche man die ganze Dreiecksfläche zerlegen könnte;
folglich muss auch der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes A B C in der Linie A a liegen.
Aus demselben Grunde enthält die andere Gerade B b, welche die zweite Dreiecksseite
A C in zwei gleiche Theile theilt, ebenfalls den Schwerpunkt des Dreieckes A B C. Es
muss sich daher in dem Durchschnittspunkte S der zwei Linien A a und B b der Schwer-
punkt des ganzen Dreieckes A B C befinden.

Um die Entfernung dieses Schwerpunktes durch Rechnung zu finden, verbinde man
die Punkte a und b durch eine gerade Linie. Da sich nun die Seiten
C b:C A = C a:C B = 1:2 oder
C b:C a = C A:C B verhalten, so muss a b paralell zu A B seyn, demnach wird auch
das Dreieck b S a dem Dreiecke B S A ähnlich seyn und sich verhalten:
S a:S A = a b:A B = C a:C B = 1:2. Werden in dieser Proportion die ersten zwei
Glieder addirt, so ist auch S a:S A + S a = 1:2 + 1 oder S a:A a = 1:3,
woraus S a = ⅓ (S A + S a) oder S a = ⅓ A a folgt;
auf gleiche Weise ist S b = ⅓ B b.

Hieraus ergibt sich folgende einfache Construktion zur Bestimmung des
Schwerpunktes eines Dreieckes
. Man theile irgend eine von den drei Seiten des
Dreieckes in zwei gleiche Theile und ziehe von diesem Theilungspunkte zu der gegenüber-
liegenden Spitze des Dreieckes eine gerade Linie; wird diese nun in drei gleiche Theile
getheilt, so ist der, der getheilten Dreiecksseite zunächst liegende Theilungspunkt zu-
gleich der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes.

§. 75.

Der Schwerpunkt eines Trapezes M N O P wird auf folgende Art gefunden: Es seyFig.
31.

N O = 1, M N = b und P O = B. Man ziehe aus M die Linie M Q paralell zu N O,
so wird das Trapez in ein Rechteck M N O Q und ein Dreieck M Q P abgetheilt. Der
Schwerpunkt des Rechteckes M N O Q befindet sich in der Mitte m desselben, er ist
nämlich von M N um m r = ½ und von N O um m s = [Formel 1] entfernt; der Schwerpunkt

Gerstners Mechanik. Band I. 12
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[89/0119] Schwerpunkt. §. 74. Mathematische Linien und Flächen haben zwar im eigentlichen Verstande keinen Schwerpunkt, weil sie ihrer Natur nach kein Gewicht haben; wenn wir uns jedoch statt einer Linie ein sehr dünnes Prisma, oder einen Cylinder von sehr kleinem Durchmes- ser und gleichförmig dichter Materie denken, so wird diese Linie allerdings einen Schwer- punkt und zwar in ihrer Mitte haben. Eben so wird eine Fläche einen Schwerpunkt haben, wenn wir uns statt derselben eine Scheibe von unbedeutender Dicke und durchaus gleichförmig dichter Materie denken. Wir wollen annehmen, es sey zuerst der Schwerpunkt der Fläche des Dreieckes A B C Fig. 30. zu bestimmen. Man halbire eine Seite z. B. B C in a und ziehe A a, so wird auch eine jede Linie, welche man innerhalb des Dreieckes paralell zu B C zieht, von der Linie A a halbirt werden. Es enthält demnach die Gerade A a die Schwerpunkte aller zu B C paralellen Streifen, in welche man die ganze Dreiecksfläche zerlegen könnte; folglich muss auch der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes A B C in der Linie A a liegen. Aus demselben Grunde enthält die andere Gerade B b, welche die zweite Dreiecksseite A C in zwei gleiche Theile theilt, ebenfalls den Schwerpunkt des Dreieckes A B C. Es muss sich daher in dem Durchschnittspunkte S der zwei Linien A a und B b der Schwer- punkt des ganzen Dreieckes A B C befinden. Fig. 30. Tab. 1. Um die Entfernung dieses Schwerpunktes durch Rechnung zu finden, verbinde man die Punkte a und b durch eine gerade Linie. Da sich nun die Seiten C b:C A = C a:C B = 1:2 oder C b:C a = C A:C B verhalten, so muss a b paralell zu A B seyn, demnach wird auch das Dreieck b S a dem Dreiecke B S A ähnlich seyn und sich verhalten: S a:S A = a b:A B = C a:C B = 1:2. Werden in dieser Proportion die ersten zwei Glieder addirt, so ist auch S a:S A + S a = 1:2 + 1 oder S a:A a = 1:3, woraus S a = ⅓ (S A + S a) oder S a = ⅓ A a folgt; auf gleiche Weise ist S b = ⅓ B b. Hieraus ergibt sich folgende einfache Construktion zur Bestimmung des Schwerpunktes eines Dreieckes. Man theile irgend eine von den drei Seiten des Dreieckes in zwei gleiche Theile und ziehe von diesem Theilungspunkte zu der gegenüber- liegenden Spitze des Dreieckes eine gerade Linie; wird diese nun in drei gleiche Theile getheilt, so ist der, der getheilten Dreiecksseite zunächst liegende Theilungspunkt zu- gleich der Schwerpunkt des ganzen Dreieckes. §. 75. Der Schwerpunkt eines Trapezes M N O P wird auf folgende Art gefunden: Es sey N O = 1, M N = b und P O = B. Man ziehe aus M die Linie M Q paralell zu N O, so wird das Trapez in ein Rechteck M N O Q und ein Dreieck M Q P abgetheilt. Der Schwerpunkt des Rechteckes M N O Q befindet sich in der Mitte m desselben, er ist nämlich von M N um m r = ½ und von N O um m s = [FORMEL] entfernt; der Schwerpunkt Fig. 31. Gerstners Mechanik. Band I. 12

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/119>, abgerufen am 19.04.2024.