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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Breite der Radfelgen in Oesterreich.
ten haben. Die Ursache, dass diese breiten Felgen bei uns noch nicht so allgemein,
wie in Frankreich und England eingeführt sind, liegt in dem Umstande, dass in je-
nen Ländern eine weit grössere Länge von Kunststrassen (Chausseen), als bei uns her-
gestellt ist; die Fuhrleute fahren sonach dort gewöhnlich nur auf Chausseen, während
sie bei uns auf Landwege kommen, in denen die Geleise (und zwar häufig auch in
Steine) so tief und so schmal eingeschnitten sind, dass man nur wieder mit einem
Wagen von ganz gleicher Geleiseweite und schmalen Radfelgen fortzukommen im Stan-
de ist. So lange daher nicht die meisten Kommunicationen mit guten Strassen herge-
stellt sind, wird auch die allgemeine Einführung breiter Radfelgen bei
uns nicht statt finden können.

Aus diesem Umstande erklärt sich nun auch, warum die meisten Wägen in den
österreichischen Staaten eine gleiche Geleiseweite, nämlich 3 Fuss 6 Zoll Wiener
Maass innerhalb der Räder besitzen, und warum diese Geleiseweite für die vordern und
hintern Räder gleich sey; man kann nämlich nur mit solchen Wägen in den tief ein-
geschnittenen Landstrassen und Hohlwegen fortkommen.

In dieser Hinsicht gewährt es auf den französischen Strassen einen besondern Vor-
theil für die Unterhaltung derselben, dass nach einer gesetzlichen Bestimmung die hin-
tern Räder aller Wägen gerade um die Geleiseweite weiter aus einander stehen
müssen, als die vordern Räder. In diesem Falle gleichen nämlich die hintern Räder
die von den vordern Rädern aus der Strasse durch die Geleise hinausgedrückte Erde
wieder aus, und so lassen diese Wägen beinahe keine Spuren oder Geleise zurück.

§. 543.

Widerstand der konischen Räder. Die Räder der meisten Stadtwägen
sind, wie Fig. 9 so gebaut, dass die Speichen nicht in einer vertikalen Fläche, son-Fig.
9.
Tab.
29.

dern in der Oberfläche eines Kegels liegen, dessen Mittellinie zugleich die
Mittellinie eines Theils der Wagenachse ist, die an ihrem Ende herabgebogen wurde.
Diese konischen Räder wendet man vorzüglich desshalb an:

1tens Damit die Wagenkästen aufwärts eine grössere Weite erhalten können, als die
Geleiseweite beträgt; sind nämlich die Speichen und das ganze Rad vertikal ge-
stellt, so kann der Wagenkasten nicht so weit (breit) gemacht werden, und
nachdem derselbe bei den Stadtwägen an Federn hängt, so würde er auch bei
vertikalen Speichen weit leichter an die Peripherie des Rades anschlagen, als
es bei einem konischen Rade der Fall ist.
2tens Ein anderer Grund, warum konische Räder bei Stadtwägen angewendet wer-
den, liegt darin, weil der Koth, der sich an selbe anhängt, von dem Rade
auf die Strasse heraus geworfen wird, während bei vertikalen Speichen der Koth
nach beiden Seiten gleich, folglich auch an den Wagenkasten geschleudert wird.

Uibrigens ist hier noch zu erinnern, dass die konischen Räder, wenn die Speichen
nach beiden Seiten auswärts gestellt sind, leichter aus dem Haufen fallen, als wenn
die untern Speichen auf der Strasse senkrecht stehen. Dagegen ist aber zu bemerken,

74 *

Breite der Radfelgen in Oesterreich.
ten haben. Die Ursache, dass diese breiten Felgen bei uns noch nicht so allgemein,
wie in Frankreich und England eingeführt sind, liegt in dem Umstande, dass in je-
nen Ländern eine weit grössere Länge von Kunststrassen (Chausseen), als bei uns her-
gestellt ist; die Fuhrleute fahren sonach dort gewöhnlich nur auf Chausseen, während
sie bei uns auf Landwege kommen, in denen die Geleise (und zwar häufig auch in
Steine) so tief und so schmal eingeschnitten sind, dass man nur wieder mit einem
Wagen von ganz gleicher Geleiseweite und schmalen Radfelgen fortzukommen im Stan-
de ist. So lange daher nicht die meisten Kommunicationen mit guten Strassen herge-
stellt sind, wird auch die allgemeine Einführung breiter Radfelgen bei
uns nicht statt finden können.

Aus diesem Umstande erklärt sich nun auch, warum die meisten Wägen in den
österreichischen Staaten eine gleiche Geleiseweite, nämlich 3 Fuss 6 Zoll Wiener
Maass innerhalb der Räder besitzen, und warum diese Geleiseweite für die vordern und
hintern Räder gleich sey; man kann nämlich nur mit solchen Wägen in den tief ein-
geschnittenen Landstrassen und Hohlwegen fortkommen.

In dieser Hinsicht gewährt es auf den französischen Strassen einen besondern Vor-
theil für die Unterhaltung derselben, dass nach einer gesetzlichen Bestimmung die hin-
tern Räder aller Wägen gerade um die Geleiseweite weiter aus einander stehen
müssen, als die vordern Räder. In diesem Falle gleichen nämlich die hintern Räder
die von den vordern Rädern aus der Strasse durch die Geleise hinausgedrückte Erde
wieder aus, und so lassen diese Wägen beinahe keine Spuren oder Geleise zurück.

§. 543.

Widerstand der konischen Räder. Die Räder der meisten Stadtwägen
sind, wie Fig. 9 so gebaut, dass die Speichen nicht in einer vertikalen Fläche, son-Fig.
9.
Tab.
29.

dern in der Oberfläche eines Kegels liegen, dessen Mittellinie zugleich die
Mittellinie eines Theils der Wagenachse ist, die an ihrem Ende herabgebogen wurde.
Diese konischen Räder wendet man vorzüglich desshalb an:

1tens Damit die Wagenkästen aufwärts eine grössere Weite erhalten können, als die
Geleiseweite beträgt; sind nämlich die Speichen und das ganze Rad vertikal ge-
stellt, so kann der Wagenkasten nicht so weit (breit) gemacht werden, und
nachdem derselbe bei den Stadtwägen an Federn hängt, so würde er auch bei
vertikalen Speichen weit leichter an die Peripherie des Rades anschlagen, als
es bei einem konischen Rade der Fall ist.
2tens Ein anderer Grund, warum konische Räder bei Stadtwägen angewendet wer-
den, liegt darin, weil der Koth, der sich an selbe anhängt, von dem Rade
auf die Strasse heraus geworfen wird, während bei vertikalen Speichen der Koth
nach beiden Seiten gleich, folglich auch an den Wagenkasten geschleudert wird.

Uibrigens ist hier noch zu erinnern, dass die konischen Räder, wenn die Speichen
nach beiden Seiten auswärts gestellt sind, leichter aus dem Haufen fallen, als wenn
die untern Speichen auf der Strasse senkrecht stehen. Dagegen ist aber zu bemerken,

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[587/0619] Breite der Radfelgen in Oesterreich. ten haben. Die Ursache, dass diese breiten Felgen bei uns noch nicht so allgemein, wie in Frankreich und England eingeführt sind, liegt in dem Umstande, dass in je- nen Ländern eine weit grössere Länge von Kunststrassen (Chausseen), als bei uns her- gestellt ist; die Fuhrleute fahren sonach dort gewöhnlich nur auf Chausseen, während sie bei uns auf Landwege kommen, in denen die Geleise (und zwar häufig auch in Steine) so tief und so schmal eingeschnitten sind, dass man nur wieder mit einem Wagen von ganz gleicher Geleiseweite und schmalen Radfelgen fortzukommen im Stan- de ist. So lange daher nicht die meisten Kommunicationen mit guten Strassen herge- stellt sind, wird auch die allgemeine Einführung breiter Radfelgen bei uns nicht statt finden können. Aus diesem Umstande erklärt sich nun auch, warum die meisten Wägen in den österreichischen Staaten eine gleiche Geleiseweite, nämlich 3 Fuss 6 Zoll Wiener Maass innerhalb der Räder besitzen, und warum diese Geleiseweite für die vordern und hintern Räder gleich sey; man kann nämlich nur mit solchen Wägen in den tief ein- geschnittenen Landstrassen und Hohlwegen fortkommen. In dieser Hinsicht gewährt es auf den französischen Strassen einen besondern Vor- theil für die Unterhaltung derselben, dass nach einer gesetzlichen Bestimmung die hin- tern Räder aller Wägen gerade um die Geleiseweite weiter aus einander stehen müssen, als die vordern Räder. In diesem Falle gleichen nämlich die hintern Räder die von den vordern Rädern aus der Strasse durch die Geleise hinausgedrückte Erde wieder aus, und so lassen diese Wägen beinahe keine Spuren oder Geleise zurück. §. 543. Widerstand der konischen Räder. Die Räder der meisten Stadtwägen sind, wie Fig. 9 so gebaut, dass die Speichen nicht in einer vertikalen Fläche, son- dern in der Oberfläche eines Kegels liegen, dessen Mittellinie zugleich die Mittellinie eines Theils der Wagenachse ist, die an ihrem Ende herabgebogen wurde. Diese konischen Räder wendet man vorzüglich desshalb an: Fig. 9. Tab. 29. 1tens Damit die Wagenkästen aufwärts eine grössere Weite erhalten können, als die Geleiseweite beträgt; sind nämlich die Speichen und das ganze Rad vertikal ge- stellt, so kann der Wagenkasten nicht so weit (breit) gemacht werden, und nachdem derselbe bei den Stadtwägen an Federn hängt, so würde er auch bei vertikalen Speichen weit leichter an die Peripherie des Rades anschlagen, als es bei einem konischen Rade der Fall ist. 2tens Ein anderer Grund, warum konische Räder bei Stadtwägen angewendet wer- den, liegt darin, weil der Koth, der sich an selbe anhängt, von dem Rade auf die Strasse heraus geworfen wird, während bei vertikalen Speichen der Koth nach beiden Seiten gleich, folglich auch an den Wagenkasten geschleudert wird. Uibrigens ist hier noch zu erinnern, dass die konischen Räder, wenn die Speichen nach beiden Seiten auswärts gestellt sind, leichter aus dem Haufen fallen, als wenn die untern Speichen auf der Strasse senkrecht stehen. Dagegen ist aber zu bemerken, 74 *

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/619>, abgerufen am 19.04.2024.