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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832.

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Geschwindigkeit fliessender Gewässer.
am bedeutendsten seyn würde, weil daselbst die Höhe der schiefen Fläche von ihrem
Ursprunge an am grössten ist; es müssten daher jene Flüsse, deren Fall von ihrem Ur-
sprunge an gerechnet, sehr bedeutend ist, mit einer furchtbaren Geschwindigkeit in das
Meer strömen. Um hiervon eine Idee zu erlangen, führen wir an, dass z. B. die Moldau
von der Joachimsmühle oberhalb Budweis bis zur Mündung der Elbe bei Hamburg ein
Gefälle von 270 Klafter hat. Wollte man hiernach die Geschwindigkeit berechnen, so
ergibt sich für die Elbe bei Hamburg c = 2 [Formel 1] = 317 Fuss! -- Diese ungeheuere
Geschwindigkeit wäre nicht bloss von der Art, dass die Schiffahrt stromabwärts sehr ge-
fährlich und stromaufwärts beinahe unmöglich wäre, sondern es würden auch die Ufer, sie
möchten noch so fest seyn, angegriffen, und die grössten Verheerungen verursacht.

Die Erfahrung zeigt uns jedoch gerade das Gegentheil. Es haben nämlich alle
Flüsse in der Nähe ihres Ursprunges die grösste Geschwindigkeit und dieselbe vermin-
dert sich desto mehr, je weiter die Flüsse ihren Lauf fortsetzen. Bei den meisten Flüs-
sen ist die Geschwindigkeit bei dem Ausflusse in das Meer so gering, dass in denselben
die Ebbe und Fluth des Meeres bemerkbar wird. Das Wasser fällt nämlich zur Zeit der
Ebbe und steigt während der Fluth von dem Meere aus in den Fluss zurück oder strom-
aufwärts, so dass das Flusswasser statt gegen das Meer zu fliessen von demselben strom-
aufwärts getrieben wird. Hieraus sehen wir offenbar, dass bei der Bewegung des
Wassers in Flussbetten ähnliche Widerstände vorkommen müssen, welche wir bereits bei
der Bewegung des Wassers in Röhrenleitungen kennen gelernt haben.

§. 207.

Bevor wir zur näheren Betrachtung dieser Widerstände übergehen, wollen wir zuerst
die Bewegung des Wassers, so wie sie ohne alle Widerstände bloss nach den Ge-
setzen der Schwere und der vollkommenen Flüssigkeit desselben

Statt finden würde, betrachten. In dieser Absicht sey A' N' p' W' das Grundbette eines
Flusses. Die Geschwindigkeit des Wassertheilchens in A = c, der Weg, den diesesFig.
1.
Tab.
54.

Wassertheilchen zurücklegt, sey A N p W, der Raum A N = s, die Geschwindigkeit in
N = v, die horizontale Linie A M = x und die Tiefe M N = y.

Wir haben bereits bei der Bewegung über schiefe Flächen in der Mechanik fester
Körper gezeigt, dass ein jeder Körper, wenn er aus dem Zustande der Ruhe über eine
gerade oder gebogene schiefe Fläche herabläuft, in N eine Geschwindigkeit erlangt,
welche der Fallhöhe M N zugehört; wenn er aber in A schon die Geschwindigkeit c
hatte und die dieser Geschwindigkeit zugehörige Fallhöhe [Formel 2] = h gesetzt wird, so
wird die Geschwindigkeitshöhe in N, nämlich [Formel 3] = h + M N = h + y seyn. Eben
so wird die Geschwindigkeit im Punkte W durch die Gleichung [Formel 4] + U W
bestimmt. Daraus ergibt sich, dass die Geschwindigkeiten des Wassers
auf gleichen Tiefen unter der horizontalen Linie einander gleich
seyn müssen
. Wenn nämlich M N = O P und die Geschwindigkeit in P = v' ge-
setzt wird, so ist [Formel 5] = h + O P = h + M N = [Formel 6] , also v' = v. Hieraus folgt
weiters, dass die Geschwindigkeit in p, wenn o p kleiner als M N ist, auch kleiner seyn

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Geschwindigkeit fliessender Gewässer.
am bedeutendsten seyn würde, weil daselbst die Höhe der schiefen Fläche von ihrem
Ursprunge an am grössten ist; es müssten daher jene Flüsse, deren Fall von ihrem Ur-
sprunge an gerechnet, sehr bedeutend ist, mit einer furchtbaren Geschwindigkeit in das
Meer strömen. Um hiervon eine Idee zu erlangen, führen wir an, dass z. B. die Moldau
von der Joachimsmühle oberhalb Budweis bis zur Mündung der Elbe bei Hamburg ein
Gefälle von 270 Klafter hat. Wollte man hiernach die Geschwindigkeit berechnen, so
ergibt sich für die Elbe bei Hamburg c = 2 [Formel 1] = 317 Fuss! — Diese ungeheuere
Geschwindigkeit wäre nicht bloss von der Art, dass die Schiffahrt stromabwärts sehr ge-
fährlich und stromaufwärts beinahe unmöglich wäre, sondern es würden auch die Ufer, sie
möchten noch so fest seyn, angegriffen, und die grössten Verheerungen verursacht.

Die Erfahrung zeigt uns jedoch gerade das Gegentheil. Es haben nämlich alle
Flüsse in der Nähe ihres Ursprunges die grösste Geschwindigkeit und dieselbe vermin-
dert sich desto mehr, je weiter die Flüsse ihren Lauf fortsetzen. Bei den meisten Flüs-
sen ist die Geschwindigkeit bei dem Ausflusse in das Meer so gering, dass in denselben
die Ebbe und Fluth des Meeres bemerkbar wird. Das Wasser fällt nämlich zur Zeit der
Ebbe und steigt während der Fluth von dem Meere aus in den Fluss zurück oder strom-
aufwärts, so dass das Flusswasser statt gegen das Meer zu fliessen von demselben strom-
aufwärts getrieben wird. Hieraus sehen wir offenbar, dass bei der Bewegung des
Wassers in Flussbetten ähnliche Widerstände vorkommen müssen, welche wir bereits bei
der Bewegung des Wassers in Röhrenleitungen kennen gelernt haben.

§. 207.

Bevor wir zur näheren Betrachtung dieser Widerstände übergehen, wollen wir zuerst
die Bewegung des Wassers, so wie sie ohne alle Widerstände bloss nach den Ge-
setzen der Schwere und der vollkommenen Flüssigkeit desselben

Statt finden würde, betrachten. In dieser Absicht sey A' N' p' W' das Grundbette eines
Flusses. Die Geschwindigkeit des Wassertheilchens in A = c, der Weg, den diesesFig.
1.
Tab.
54.

Wassertheilchen zurücklegt, sey A N p W, der Raum A N = s, die Geschwindigkeit in
N = v, die horizontale Linie A M = x und die Tiefe M N = y.

Wir haben bereits bei der Bewegung über schiefe Flächen in der Mechanik fester
Körper gezeigt, dass ein jeder Körper, wenn er aus dem Zustande der Ruhe über eine
gerade oder gebogene schiefe Fläche herabläuft, in N eine Geschwindigkeit erlangt,
welche der Fallhöhe M N zugehört; wenn er aber in A schon die Geschwindigkeit c
hatte und die dieser Geschwindigkeit zugehörige Fallhöhe [Formel 2] = h gesetzt wird, so
wird die Geschwindigkeitshöhe in N, nämlich [Formel 3] = h + M N = h + y seyn. Eben
so wird die Geschwindigkeit im Punkte W durch die Gleichung [Formel 4] + U W
bestimmt. Daraus ergibt sich, dass die Geschwindigkeiten des Wassers
auf gleichen Tiefen unter der horizontalen Linie einander gleich
seyn müssen
. Wenn nämlich M N = O P und die Geschwindigkeit in P = v' ge-
setzt wird, so ist [Formel 5] = h + O P = h + M N = [Formel 6] , also v' = v. Hieraus folgt
weiters, dass die Geschwindigkeit in p, wenn o p kleiner als M N ist, auch kleiner seyn

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[283/0301] Geschwindigkeit fliessender Gewässer. am bedeutendsten seyn würde, weil daselbst die Höhe der schiefen Fläche von ihrem Ursprunge an am grössten ist; es müssten daher jene Flüsse, deren Fall von ihrem Ur- sprunge an gerechnet, sehr bedeutend ist, mit einer furchtbaren Geschwindigkeit in das Meer strömen. Um hiervon eine Idee zu erlangen, führen wir an, dass z. B. die Moldau von der Joachimsmühle oberhalb Budweis bis zur Mündung der Elbe bei Hamburg ein Gefälle von 270 Klafter hat. Wollte man hiernach die Geschwindigkeit berechnen, so ergibt sich für die Elbe bei Hamburg c = 2 [FORMEL] = 317 Fuss! — Diese ungeheuere Geschwindigkeit wäre nicht bloss von der Art, dass die Schiffahrt stromabwärts sehr ge- fährlich und stromaufwärts beinahe unmöglich wäre, sondern es würden auch die Ufer, sie möchten noch so fest seyn, angegriffen, und die grössten Verheerungen verursacht. Die Erfahrung zeigt uns jedoch gerade das Gegentheil. Es haben nämlich alle Flüsse in der Nähe ihres Ursprunges die grösste Geschwindigkeit und dieselbe vermin- dert sich desto mehr, je weiter die Flüsse ihren Lauf fortsetzen. Bei den meisten Flüs- sen ist die Geschwindigkeit bei dem Ausflusse in das Meer so gering, dass in denselben die Ebbe und Fluth des Meeres bemerkbar wird. Das Wasser fällt nämlich zur Zeit der Ebbe und steigt während der Fluth von dem Meere aus in den Fluss zurück oder strom- aufwärts, so dass das Flusswasser statt gegen das Meer zu fliessen von demselben strom- aufwärts getrieben wird. Hieraus sehen wir offenbar, dass bei der Bewegung des Wassers in Flussbetten ähnliche Widerstände vorkommen müssen, welche wir bereits bei der Bewegung des Wassers in Röhrenleitungen kennen gelernt haben. §. 207. Bevor wir zur näheren Betrachtung dieser Widerstände übergehen, wollen wir zuerst die Bewegung des Wassers, so wie sie ohne alle Widerstände bloss nach den Ge- setzen der Schwere und der vollkommenen Flüssigkeit desselben Statt finden würde, betrachten. In dieser Absicht sey A' N' p' W' das Grundbette eines Flusses. Die Geschwindigkeit des Wassertheilchens in A = c, der Weg, den dieses Wassertheilchen zurücklegt, sey A N p W, der Raum A N = s, die Geschwindigkeit in N = v, die horizontale Linie A M = x und die Tiefe M N = y. Fig. 1. Tab. 54. Wir haben bereits bei der Bewegung über schiefe Flächen in der Mechanik fester Körper gezeigt, dass ein jeder Körper, wenn er aus dem Zustande der Ruhe über eine gerade oder gebogene schiefe Fläche herabläuft, in N eine Geschwindigkeit erlangt, welche der Fallhöhe M N zugehört; wenn er aber in A schon die Geschwindigkeit c hatte und die dieser Geschwindigkeit zugehörige Fallhöhe [FORMEL] = h gesetzt wird, so wird die Geschwindigkeitshöhe in N, nämlich [FORMEL] = h + M N = h + y seyn. Eben so wird die Geschwindigkeit im Punkte W durch die Gleichung [FORMEL] + U W bestimmt. Daraus ergibt sich, dass die Geschwindigkeiten des Wassers auf gleichen Tiefen unter der horizontalen Linie einander gleich seyn müssen. Wenn nämlich M N = O P und die Geschwindigkeit in P = v' ge- setzt wird, so ist [FORMEL] = h + O P = h + M N = [FORMEL], also v' = v. Hieraus folgt weiters, dass die Geschwindigkeit in p, wenn o p kleiner als M N ist, auch kleiner seyn 36*

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/301>, abgerufen am 19.04.2024.