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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
Wenn aber ein Privatreichsgesez diese Vorbehaltungs-
clausul nicht enthält, so stimme ich denen bey, welche
alsdann wieder unter den Reichsgesetzen selbst einen Un-
terschied machen, ob sie nehmlich entweder solche sind,
welche das Reich für durchaus verbindliche Verordnun-
gen vorgeschrieben hat, dergestalt, daß sie schlechter-
dings in allen einzelnen Reichslanden befolgt werden
sollen; (leges Imperii absolute praeceptivae aut prohi-
bitivae
) oder ob es solche sind, die zwar wohl als
allgemeine Verordnungen in Teutschland promulgiret
sind, deren Befolgung aber doch das Reich nicht so
durchaus und schlechterdings fordert, sondern welche nur
in subsidium, wenn andere verbindliche Verordnungen
ermangeln, zur Richtschnur dienen sollen. (leges Imperii
bypotbeticae
) Ob ein Reichsgesez zu dieser oder jener
Gattung gehöre, muß theils aus dem ausdrücklichen
Inhalt des Gesetzes selbst, theils aus dem stillschwei-
genden und vermutheten Willen des Reichs bestimmt
werden. Der stillschweigende Wille des Reichs
ist vorhanden, wenn die Absicht des Gesezgebers, und
das durch das Gesez zu bewirkende Wohl von Teutsch-
land nicht anders erhalten werden kann, als wenn das
Gesez durchaus und schlechterdings in allen einzelnen
Reichslanden befolgt wird. Dieses zum voraus gesezt,
so ist nun zu bemerken, daß kein teutscher Landesherr
die Macht habe, gegen solche Reichsprivatgesetze etwas
zu verordnen, deren allgemeine und genaue Beobachtung
das dadurch zu bewirkende Wohl Teutschlands noth-
wendig macht. Wie würde z. E. der heilsame Zweck
des Reichsschlusses von 1731. wegen Abstellung der
Handwerksmisbräuche erreicht werden, wenn solcher nur
an einigen Orten beobachtet würde, an andern nicht?
Es gestattet auch weder die Unterwürfigkeit der teutschen
Landesherrn und ihrer Territorien gegen die Majestät

des

1. Buch. 1. Tit.
Wenn aber ein Privatreichsgeſez dieſe Vorbehaltungs-
clauſul nicht enthaͤlt, ſo ſtimme ich denen bey, welche
alsdann wieder unter den Reichsgeſetzen ſelbſt einen Un-
terſchied machen, ob ſie nehmlich entweder ſolche ſind,
welche das Reich fuͤr durchaus verbindliche Verordnun-
gen vorgeſchrieben hat, dergeſtalt, daß ſie ſchlechter-
dings in allen einzelnen Reichslanden befolgt werden
ſollen; (leges Imperii abſolute praeceptivae aut prohi-
bitivae
) oder ob es ſolche ſind, die zwar wohl als
allgemeine Verordnungen in Teutſchland promulgiret
ſind, deren Befolgung aber doch das Reich nicht ſo
durchaus und ſchlechterdings fordert, ſondern welche nur
in ſubſidium, wenn andere verbindliche Verordnungen
ermangeln, zur Richtſchnur dienen ſollen. (leges Imperii
bypotbeticae
) Ob ein Reichsgeſez zu dieſer oder jener
Gattung gehoͤre, muß theils aus dem ausdruͤcklichen
Inhalt des Geſetzes ſelbſt, theils aus dem ſtillſchwei-
genden und vermutheten Willen des Reichs beſtimmt
werden. Der ſtillſchweigende Wille des Reichs
iſt vorhanden, wenn die Abſicht des Geſezgebers, und
das durch das Geſez zu bewirkende Wohl von Teutſch-
land nicht anders erhalten werden kann, als wenn das
Geſez durchaus und ſchlechterdings in allen einzelnen
Reichslanden befolgt wird. Dieſes zum voraus geſezt,
ſo iſt nun zu bemerken, daß kein teutſcher Landesherr
die Macht habe, gegen ſolche Reichsprivatgeſetze etwas
zu verordnen, deren allgemeine und genaue Beobachtung
das dadurch zu bewirkende Wohl Teutſchlands noth-
wendig macht. Wie wuͤrde z. E. der heilſame Zweck
des Reichsſchluſſes von 1731. wegen Abſtellung der
Handwerksmisbraͤuche erreicht werden, wenn ſolcher nur
an einigen Orten beobachtet wuͤrde, an andern nicht?
Es geſtattet auch weder die Unterwuͤrfigkeit der teutſchen
Landesherrn und ihrer Territorien gegen die Majeſtaͤt

des
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[162/0182] 1. Buch. 1. Tit. Wenn aber ein Privatreichsgeſez dieſe Vorbehaltungs- clauſul nicht enthaͤlt, ſo ſtimme ich denen bey, welche alsdann wieder unter den Reichsgeſetzen ſelbſt einen Un- terſchied machen, ob ſie nehmlich entweder ſolche ſind, welche das Reich fuͤr durchaus verbindliche Verordnun- gen vorgeſchrieben hat, dergeſtalt, daß ſie ſchlechter- dings in allen einzelnen Reichslanden befolgt werden ſollen; (leges Imperii abſolute praeceptivae aut prohi- bitivae) oder ob es ſolche ſind, die zwar wohl als allgemeine Verordnungen in Teutſchland promulgiret ſind, deren Befolgung aber doch das Reich nicht ſo durchaus und ſchlechterdings fordert, ſondern welche nur in ſubſidium, wenn andere verbindliche Verordnungen ermangeln, zur Richtſchnur dienen ſollen. (leges Imperii bypotbeticae) Ob ein Reichsgeſez zu dieſer oder jener Gattung gehoͤre, muß theils aus dem ausdruͤcklichen Inhalt des Geſetzes ſelbſt, theils aus dem ſtillſchwei- genden und vermutheten Willen des Reichs beſtimmt werden. Der ſtillſchweigende Wille des Reichs iſt vorhanden, wenn die Abſicht des Geſezgebers, und das durch das Geſez zu bewirkende Wohl von Teutſch- land nicht anders erhalten werden kann, als wenn das Geſez durchaus und ſchlechterdings in allen einzelnen Reichslanden befolgt wird. Dieſes zum voraus geſezt, ſo iſt nun zu bemerken, daß kein teutſcher Landesherr die Macht habe, gegen ſolche Reichsprivatgeſetze etwas zu verordnen, deren allgemeine und genaue Beobachtung das dadurch zu bewirkende Wohl Teutſchlands noth- wendig macht. Wie wuͤrde z. E. der heilſame Zweck des Reichsſchluſſes von 1731. wegen Abſtellung der Handwerksmisbraͤuche erreicht werden, wenn ſolcher nur an einigen Orten beobachtet wuͤrde, an andern nicht? Es geſtattet auch weder die Unterwuͤrfigkeit der teutſchen Landesherrn und ihrer Territorien gegen die Majeſtaͤt des

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/182>, abgerufen am 25.04.2024.