Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

de Origine Iuris.
die gesezliche Auctorität solcher Stellen des justinianei-
schen Rechts nicht bestreiten, welche zwar ihrer ursprüng-
lichen Beschaffenheit nach in die Zahl der Gesetze nicht
gehören, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts-
körper ein legales Ansehen bekommen haben. So z.
B. bestehen zwar die Pandecten des K. Justinians
hauptsächlich aus den Meinungen, Gutachten und Erklä-
rungen der römischen Rechtsgelehrten, allein wer vermag
diesen die Eigenschaft wahrer Gesetze abzustreiten, da
Justinian die Pandecten, darin sie aufgenommen sind,
als ein wirkliches Gesezbuch bestättiget hat?

§. 58.
Dritte Regel.

Bey den wirklichen Gesetzen unsers römischen Rechts-
körpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und
in wieferne sie auf unsere Zeiten, Sitten und Verfas-
sungen angewendet werden können. Es ist daher eine
dritte Regel: diejenigen Verordnungen, welche
sich auf blos römische in Teutschland ganz
unbekannte Sitten und Verfassungen bezie-
hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen-
dung
5).

Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf-
nahme des Justinianeischen Rechts auch die ganze Re-
gimentsverfassung und politische Einrichtung der Römer
zu uns übergegangen sey, oder daß die Teutschen die
Absicht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge-
schäfte nach römischen Grundsätzen umzuformen. Die
Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt also,
daß solche Verordnungen, welche auf Grundsätzen beru-

hen,
5) Herr Prof. Schott in der Encyclopädie §. 109.
Glücks Erläut. d. Pand. 1. Th. Z

de Origine Iuris.
die geſezliche Auctoritaͤt ſolcher Stellen des juſtinianei-
ſchen Rechts nicht beſtreiten, welche zwar ihrer urſpruͤng-
lichen Beſchaffenheit nach in die Zahl der Geſetze nicht
gehoͤren, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts-
koͤrper ein legales Anſehen bekommen haben. So z.
B. beſtehen zwar die Pandecten des K. Juſtinians
hauptſaͤchlich aus den Meinungen, Gutachten und Erklaͤ-
rungen der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, allein wer vermag
dieſen die Eigenſchaft wahrer Geſetze abzuſtreiten, da
Juſtinian die Pandecten, darin ſie aufgenommen ſind,
als ein wirkliches Geſezbuch beſtaͤttiget hat?

§. 58.
Dritte Regel.

Bey den wirklichen Geſetzen unſers roͤmiſchen Rechts-
koͤrpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und
in wieferne ſie auf unſere Zeiten, Sitten und Verfaſ-
ſungen angewendet werden koͤnnen. Es iſt daher eine
dritte Regel: diejenigen Verordnungen, welche
ſich auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz
unbekannte Sitten und Verfaſſungen bezie-
hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen-
dung
5).

Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf-
nahme des Juſtinianeiſchen Rechts auch die ganze Re-
gimentsverfaſſung und politiſche Einrichtung der Roͤmer
zu uns uͤbergegangen ſey, oder daß die Teutſchen die
Abſicht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge-
ſchaͤfte nach roͤmiſchen Grundſaͤtzen umzuformen. Die
Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt alſo,
daß ſolche Verordnungen, welche auf Grundſaͤtzen beru-

hen,
5) Herr Prof. Schott in der Encyclopaͤdie §. 109.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0371" n="351"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">de Origine Iuris.</hi></fw><lb/>
die ge&#x017F;ezliche Auctorita&#x0364;t &#x017F;olcher Stellen des ju&#x017F;tinianei-<lb/>
&#x017F;chen Rechts nicht be&#x017F;treiten, welche zwar ihrer ur&#x017F;pru&#x0364;ng-<lb/>
lichen Be&#x017F;chaffenheit nach in die Zahl der Ge&#x017F;etze nicht<lb/>
geho&#x0364;ren, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts-<lb/>
ko&#x0364;rper ein legales An&#x017F;ehen bekommen haben. So z.<lb/>
B. be&#x017F;tehen zwar die Pandecten des K. Ju&#x017F;tinians<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich aus den Meinungen, Gutachten und Erkla&#x0364;-<lb/>
rungen der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehrten, allein wer vermag<lb/>
die&#x017F;en die Eigen&#x017F;chaft wahrer Ge&#x017F;etze abzu&#x017F;treiten, da<lb/>
Ju&#x017F;tinian die Pandecten, darin &#x017F;ie aufgenommen &#x017F;ind,<lb/>
als ein wirkliches Ge&#x017F;ezbuch be&#x017F;ta&#x0364;ttiget hat?</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 58.<lb/><hi rendition="#g">Dritte Regel</hi>.</head><lb/>
                <p>Bey den wirklichen Ge&#x017F;etzen un&#x017F;ers ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechts-<lb/>
ko&#x0364;rpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und<lb/>
in wieferne &#x017F;ie auf un&#x017F;ere Zeiten, Sitten und Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ungen angewendet werden ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t daher eine<lb/>
dritte Regel: <hi rendition="#g">diejenigen Verordnungen, welche<lb/>
&#x017F;ich auf blos ro&#x0364;mi&#x017F;che in Teut&#x017F;chland ganz<lb/>
unbekannte Sitten und Verfa&#x017F;&#x017F;ungen bezie-<lb/>
hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen-<lb/>
dung</hi> <note place="foot" n="5)">Herr Prof. <hi rendition="#fr">Schott</hi> in der <hi rendition="#g">Encyclopa&#x0364;die</hi> §. 109.</note>.</p><lb/>
                <p>Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf-<lb/>
nahme des Ju&#x017F;tinianei&#x017F;chen Rechts auch die ganze Re-<lb/>
gimentsverfa&#x017F;&#x017F;ung und politi&#x017F;che Einrichtung der Ro&#x0364;mer<lb/>
zu uns u&#x0364;bergegangen &#x017F;ey, oder daß die Teut&#x017F;chen die<lb/>
Ab&#x017F;icht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte nach ro&#x0364;mi&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen umzuformen. Die<lb/>
Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt al&#x017F;o,<lb/>
daß &#x017F;olche Verordnungen, welche auf Grund&#x017F;a&#x0364;tzen beru-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hen,</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Glu&#x0364;cks Erla&#x0364;ut. d. Pand. 1. Th. Z</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0371] de Origine Iuris. die geſezliche Auctoritaͤt ſolcher Stellen des juſtinianei- ſchen Rechts nicht beſtreiten, welche zwar ihrer urſpruͤng- lichen Beſchaffenheit nach in die Zahl der Geſetze nicht gehoͤren, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts- koͤrper ein legales Anſehen bekommen haben. So z. B. beſtehen zwar die Pandecten des K. Juſtinians hauptſaͤchlich aus den Meinungen, Gutachten und Erklaͤ- rungen der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, allein wer vermag dieſen die Eigenſchaft wahrer Geſetze abzuſtreiten, da Juſtinian die Pandecten, darin ſie aufgenommen ſind, als ein wirkliches Geſezbuch beſtaͤttiget hat? §. 58. Dritte Regel. Bey den wirklichen Geſetzen unſers roͤmiſchen Rechts- koͤrpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und in wieferne ſie auf unſere Zeiten, Sitten und Verfaſ- ſungen angewendet werden koͤnnen. Es iſt daher eine dritte Regel: diejenigen Verordnungen, welche ſich auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz unbekannte Sitten und Verfaſſungen bezie- hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen- dung 5). Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf- nahme des Juſtinianeiſchen Rechts auch die ganze Re- gimentsverfaſſung und politiſche Einrichtung der Roͤmer zu uns uͤbergegangen ſey, oder daß die Teutſchen die Abſicht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge- ſchaͤfte nach roͤmiſchen Grundſaͤtzen umzuformen. Die Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt alſo, daß ſolche Verordnungen, welche auf Grundſaͤtzen beru- hen, 5) Herr Prof. Schott in der Encyclopaͤdie §. 109. Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Z

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/371
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/371>, abgerufen am 28.03.2024.