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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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seligen Eufemia, genannt Gertrud von Cöln.
Cöln am Rhein.

Wie Eufemia, eine Tochter Eduard des Dritten
Königs von Engelland um 1328 aus frommem Abscheu
gegen die Ehe von ihren Eltern entwich; nach Cöln
kam, dort in einem Spitale die Kranken versorgte;
dann verläumdet von einem bösen Weibe und an den
Pranger gestellt, erkannt wurde von den Boten, die
ihr Vater ausgesandt, um sie zu suchen; gegen Diese
aber ihre Person verläugnete, indem sie anspielend auf
Christus und die Apostel erklärte, ihr Vater sey als
Missethäter gehenkt worden, und ihre Brüder, deren
sie zwölf gehabt, seyen keines natürlichen Todes ge-
storben; wie sie darauf nach Pforzheim in ein adeliches
Frauenkloster kam, dort in Demuth und Frömmigkeit
gelebt habe, und endlich selig gestorben sey. Die Legende,
wahrscheinlich aus den Bollandisten übersetzt, ist recht
gut geschrieben, der Ton einfältig, die Sprache kunst-
los: sie kann uns Zeugniß geben von der Macht, die
die Religion in jenen Zeiten hatte, und welche unend-
liche Freiheit im Menschen liegt, dem Erdprinzipe zu
entsagen, alle irdische Wohlfahrt abzustreifen, und
durch inneres Aufbrennen sich der irdischen Schwere entge-
gen gewaltsam in höhere Regionen zu erheben.

ſeligen Eufemia, genannt Gertrud von Coͤln.
Coͤln am Rhein.

Wie Eufemia, eine Tochter Eduard des Dritten
Königs von Engelland um 1328 aus frommem Abſcheu
gegen die Ehe von ihren Eltern entwich; nach Cöln
kam, dort in einem Spitale die Kranken verſorgte;
dann verläumdet von einem böſen Weibe und an den
Pranger geſtellt, erkannt wurde von den Boten, die
ihr Vater ausgeſandt, um ſie zu ſuchen; gegen Dieſe
aber ihre Perſon verläugnete, indem ſie anſpielend auf
Chriſtus und die Apoſtel erklärte, ihr Vater ſey als
Miſſethäter gehenkt worden, und ihre Brüder, deren
ſie zwölf gehabt, ſeyen keines natürlichen Todes ge-
ſtorben; wie ſie darauf nach Pforzheim in ein adeliches
Frauenkloſter kam, dort in Demuth und Frömmigkeit
gelebt habe, und endlich ſelig geſtorben ſey. Die Legende,
wahrſcheinlich aus den Bollandiſten überſetzt, iſt recht
gut geſchrieben, der Ton einfältig, die Sprache kunſt-
los: ſie kann uns Zeugniß geben von der Macht, die
die Religion in jenen Zeiten hatte, und welche unend-
liche Freiheit im Menſchen liegt, dem Erdprinzipe zu
entſagen, alle irdiſche Wohlfahrt abzuſtreifen, und
durch inneres Aufbrennen ſich der irdiſchen Schwere entge-
gen gewaltſam in höhere Regionen zu erheben.

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[245/0263] ſeligen Eufemia, genannt Gertrud von Coͤln. Coͤln am Rhein. Wie Eufemia, eine Tochter Eduard des Dritten Königs von Engelland um 1328 aus frommem Abſcheu gegen die Ehe von ihren Eltern entwich; nach Cöln kam, dort in einem Spitale die Kranken verſorgte; dann verläumdet von einem böſen Weibe und an den Pranger geſtellt, erkannt wurde von den Boten, die ihr Vater ausgeſandt, um ſie zu ſuchen; gegen Dieſe aber ihre Perſon verläugnete, indem ſie anſpielend auf Chriſtus und die Apoſtel erklärte, ihr Vater ſey als Miſſethäter gehenkt worden, und ihre Brüder, deren ſie zwölf gehabt, ſeyen keines natürlichen Todes ge- ſtorben; wie ſie darauf nach Pforzheim in ein adeliches Frauenkloſter kam, dort in Demuth und Frömmigkeit gelebt habe, und endlich ſelig geſtorben ſey. Die Legende, wahrſcheinlich aus den Bollandiſten überſetzt, iſt recht gut geſchrieben, der Ton einfältig, die Sprache kunſt- los: ſie kann uns Zeugniß geben von der Macht, die die Religion in jenen Zeiten hatte, und welche unend- liche Freiheit im Menſchen liegt, dem Erdprinzipe zu entſagen, alle irdiſche Wohlfahrt abzuſtreifen, und durch inneres Aufbrennen ſich der irdiſchen Schwere entge- gen gewaltſam in höhere Regionen zu erheben.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/263>, abgerufen am 19.04.2024.