Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

dargestellt. Das Buch ist in gereimten Versen geschrie-
ben, obgleich wie Prosa gedruckt, wahrscheinlich aus
den letzten Zeiten der Minnesänger, nicht ohne Anmuth
und Leichtigkeit gebildet, aber wie die meisten Werke
dieser Zeit ohne eigentliche Handlung; die Gestalten in
großen bauschigten Gewändern mit scharf gebrochenen
Falten und schlichtem gescheiteltem Haare, sind mitten
im Feuer des Gedichtes in durchhin ruhiger, unver-
rückter Haltung: was an ihnen sich rührt und bewegt
ist gleichsam nur das Auge und die Augenbraune,
und ohne sich zu verziehen läßt der Mund ganz unmerk-
lich schöne Sprüche und Sentenzen fahren. Selbst
der Teufel verläugnet diese ruhige Ehrenvestigkeit
nicht, auch er hat rund verschnittenes, gleichgestrichenes
Haar, nur etwas rußig wie ein Schmidtmeister. Und
so führt in ruhigem Hin- und Herdiscuriren sich die
große Szene dramatisch wie ein wahres Stillleben auf.
Die Propheten Joel, Sophonias, Salomon, Job,
Hieronymus thun zuerst ihr Wort, das Gericht müsse
nun beginnen, und treten, nachdem sie es gethan,
wieder ab. Dann rufen die Engel mit dem großen
Zorne zu Gericht, scheiden dann die Bösen von den
Guten, und der Herr Jesus Christus spricht zu den
Guten; Diese antworten ihm wieder, Replik von
Christus: dann nimmt er seine liebe Mutter Maria

dargeſtellt. Das Buch iſt in gereimten Verſen geſchrie-
ben, obgleich wie Proſa gedruckt, wahrſcheinlich aus
den letzten Zeiten der Minneſänger, nicht ohne Anmuth
und Leichtigkeit gebildet, aber wie die meiſten Werke
dieſer Zeit ohne eigentliche Handlung; die Geſtalten in
großen bauſchigten Gewändern mit ſcharf gebrochenen
Falten und ſchlichtem geſcheiteltem Haare, ſind mitten
im Feuer des Gedichtes in durchhin ruhiger, unver-
rückter Haltung: was an ihnen ſich rührt und bewegt
iſt gleichſam nur das Auge und die Augenbraune,
und ohne ſich zu verziehen läßt der Mund ganz unmerk-
lich ſchöne Sprüche und Sentenzen fahren. Selbſt
der Teufel verläugnet dieſe ruhige Ehrenveſtigkeit
nicht, auch er hat rund verſchnittenes, gleichgeſtrichenes
Haar, nur etwas rußig wie ein Schmidtmeiſter. Und
ſo führt in ruhigem Hin- und Herdiscuriren ſich die
große Szene dramatiſch wie ein wahres Stillleben auf.
Die Propheten Joel, Sophonias, Salomon, Job,
Hieronymus thun zuerſt ihr Wort, das Gericht müſſe
nun beginnen, und treten, nachdem ſie es gethan,
wieder ab. Dann rufen die Engel mit dem großen
Zorne zu Gericht, ſcheiden dann die Böſen von den
Guten, und der Herr Jeſus Chriſtus ſpricht zu den
Guten; Dieſe antworten ihm wieder, Replik von
Chriſtus: dann nimmt er ſeine liebe Mutter Maria

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0276" n="258"/>
darge&#x017F;tellt. Das Buch i&#x017F;t in gereimten Ver&#x017F;en ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, obgleich wie Pro&#x017F;a gedruckt, wahr&#x017F;cheinlich aus<lb/>
den letzten Zeiten der Minne&#x017F;änger, nicht ohne Anmuth<lb/>
und Leichtigkeit gebildet, aber wie die mei&#x017F;ten Werke<lb/>
die&#x017F;er Zeit ohne eigentliche Handlung; die Ge&#x017F;talten in<lb/>
großen bau&#x017F;chigten Gewändern mit &#x017F;charf gebrochenen<lb/>
Falten und &#x017F;chlichtem ge&#x017F;cheiteltem Haare, &#x017F;ind mitten<lb/>
im Feuer des Gedichtes in durchhin ruhiger, unver-<lb/>
rückter Haltung: was an ihnen &#x017F;ich rührt und bewegt<lb/>
i&#x017F;t gleich&#x017F;am nur das Auge und die Augenbraune,<lb/>
und ohne &#x017F;ich zu verziehen läßt der Mund ganz unmerk-<lb/>
lich &#x017F;chöne Sprüche und Sentenzen fahren. Selb&#x017F;t<lb/>
der Teufel verläugnet die&#x017F;e ruhige Ehrenve&#x017F;tigkeit<lb/>
nicht, auch er hat rund ver&#x017F;chnittenes, gleichge&#x017F;trichenes<lb/>
Haar, nur etwas rußig wie ein Schmidtmei&#x017F;ter. Und<lb/>
&#x017F;o führt in ruhigem Hin- und Herdiscuriren &#x017F;ich die<lb/>
große Szene dramati&#x017F;ch wie ein wahres Stillleben auf.<lb/>
Die Propheten Joel, Sophonias, Salomon, Job,<lb/>
Hieronymus thun zuer&#x017F;t ihr Wort, das Gericht mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nun beginnen, und treten, nachdem &#x017F;ie es gethan,<lb/>
wieder ab. Dann rufen die Engel mit dem großen<lb/>
Zorne zu Gericht, &#x017F;cheiden dann die Bö&#x017F;en von den<lb/>
Guten, und der Herr Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus &#x017F;pricht zu den<lb/>
Guten; Die&#x017F;e antworten ihm wieder, Replik von<lb/>
Chri&#x017F;tus: dann nimmt er &#x017F;eine liebe Mutter Maria<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0276] dargeſtellt. Das Buch iſt in gereimten Verſen geſchrie- ben, obgleich wie Proſa gedruckt, wahrſcheinlich aus den letzten Zeiten der Minneſänger, nicht ohne Anmuth und Leichtigkeit gebildet, aber wie die meiſten Werke dieſer Zeit ohne eigentliche Handlung; die Geſtalten in großen bauſchigten Gewändern mit ſcharf gebrochenen Falten und ſchlichtem geſcheiteltem Haare, ſind mitten im Feuer des Gedichtes in durchhin ruhiger, unver- rückter Haltung: was an ihnen ſich rührt und bewegt iſt gleichſam nur das Auge und die Augenbraune, und ohne ſich zu verziehen läßt der Mund ganz unmerk- lich ſchöne Sprüche und Sentenzen fahren. Selbſt der Teufel verläugnet dieſe ruhige Ehrenveſtigkeit nicht, auch er hat rund verſchnittenes, gleichgeſtrichenes Haar, nur etwas rußig wie ein Schmidtmeiſter. Und ſo führt in ruhigem Hin- und Herdiscuriren ſich die große Szene dramatiſch wie ein wahres Stillleben auf. Die Propheten Joel, Sophonias, Salomon, Job, Hieronymus thun zuerſt ihr Wort, das Gericht müſſe nun beginnen, und treten, nachdem ſie es gethan, wieder ab. Dann rufen die Engel mit dem großen Zorne zu Gericht, ſcheiden dann die Böſen von den Guten, und der Herr Jeſus Chriſtus ſpricht zu den Guten; Dieſe antworten ihm wieder, Replik von Chriſtus: dann nimmt er ſeine liebe Mutter Maria

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/276
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/276>, abgerufen am 25.04.2024.