Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation die erste, sie liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je naturgemässer sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie spre- chen, so wird nothwendig der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro- sser Theil des alten Testaments ist mit er- höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge- schrieben und gehört dem Felde der Dicht- kunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit wo Herder und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so gedenken wir ei- nes hohen Genusses, dem reinen orientali- schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was solche Männer uns verliehen und hinterlas- sen darf nur angedeutet werden, und man
Hebräer.
Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation die erste, sie liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je naturgemäſser sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie spre- chen, so wird nothwendig der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro- ſser Theil des alten Testaments ist mit er- höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge- schrieben und gehört dem Felde der Dicht- kunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit wo Herder und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so gedenken wir ei- nes hohen Genusses, dem reinen orientali- schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was solche Männer uns verliehen und hinterlas- sen darf nur angedeutet werden, und man
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0258"n="248"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#i"><hirendition="#g">Hebräer</hi></hi>.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation<lb/>
die erste, sie liegt allen folgenden zum<lb/>
Grunde; je frischer, je naturgemäſser sie<lb/>
hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich<lb/>
die nachherigen Epochen.</p><lb/><p>Da wir von orientalischer Poesie spre-<lb/>
chen, so wird nothwendig der Bibel, als der<lb/>
ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro-<lb/>ſser Theil des alten Testaments ist mit er-<lb/>
höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge-<lb/>
schrieben und gehört dem Felde der Dicht-<lb/>
kunst an.</p><lb/><p>Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit<lb/>
wo <hirendition="#g">Herder</hi> und <hirendition="#g">Eichhorn</hi> uns hierüber<lb/>
persönlich aufklärten, so gedenken wir ei-<lb/>
nes hohen Genusses, dem reinen orientali-<lb/>
schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was<lb/>
solche Männer uns verliehen und hinterlas-<lb/>
sen darf nur angedeutet werden, und man<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[248/0258]
Hebräer.
Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation
die erste, sie liegt allen folgenden zum
Grunde; je frischer, je naturgemäſser sie
hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich
die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie spre-
chen, so wird nothwendig der Bibel, als der
ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro-
ſser Theil des alten Testaments ist mit er-
höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge-
schrieben und gehört dem Felde der Dicht-
kunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit
wo Herder und Eichhorn uns hierüber
persönlich aufklärten, so gedenken wir ei-
nes hohen Genusses, dem reinen orientali-
schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was
solche Männer uns verliehen und hinterlas-
sen darf nur angedeutet werden, und man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/258>, abgerufen am 29.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.