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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Despotie.

Was aber dem Sinne der Westländer
niemals eingehen kann, ist die geistige und
körperliche Unterwürfigkeit unter seinen
Herren und Oberen, die sich von uralten
Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an
die Stelle Gottes traten. Im alten Testa-
ment lesen wir ohne sonderliches Befrem-
den, wenn Mann und Weib vor Priester
und Helden sich aufs Angesicht niederwirft
und anbetet, denn dasselbe sind sie vor
den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst
aus natürlichem frommen Gefühl geschah
verwandelte sich später in umständliche
Hofsitte. Der Ku-tou, das dreymalige
Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt
sich dort her. Wie viele westliche Gesandt-
schaften an östlichen Höfen sind an dieser
Ceremonie gescheitert, und die persische Poe-
sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf-

Despotie.

Was aber dem Sinne der Westländer
niemals eingehen kann, ist die geistige und
körperliche Unterwürfigkeit unter seinen
Herren und Oberen, die sich von uralten
Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an
die Stelle Gottes traten. Im alten Testa-
ment lesen wir ohne sonderliches Befrem-
den, wenn Mann und Weib vor Priester
und Helden sich aufs Angesicht niederwirft
und anbetet, denn dasselbe sind sie vor
den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst
aus natürlichem frommen Gefühl geschah
verwandelte sich später in umständliche
Hofsitte. Der Ku-tou, das dreymalige
Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt
sich dort her. Wie viele westliche Gesandt-
schaften an östlichen Höfen sind an dieser
Ceremonie gescheitert, und die persische Poe-
sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf-

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[341/0351] Despotie. Was aber dem Sinne der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herren und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten. Im alten Testa- ment lesen wir ohne sonderliches Befrem- den, wenn Mann und Weib vor Priester und Helden sich aufs Angesicht niederwirft und anbetet, denn dasselbe sind sie vor den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst aus natürlichem frommen Gefühl geschah verwandelte sich später in umständliche Hofsitte. Der Ku-tou, das dreymalige Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt sich dort her. Wie viele westliche Gesandt- schaften an östlichen Höfen sind an dieser Ceremonie gescheitert, und die persische Poe- sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/351>, abgerufen am 28.03.2024.