Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite
Dem Vernünft'gen sind Lockspeise Schedschaai's
Gedichte,
Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf.
Geh mein Gedicht und küss' vor dem Herrn die
Erde und sag' ihm:
Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.

Einrede.

Um uns nun über das Verhältniss der
Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es
noch menschlich sey, einigermassen aufzu-
klären, auch uns über das knechtische Ver-
fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen,
möge eine und die andere Stelle hier eige-
schaltet seyn, welche Zeugniss giebt wie
Geschichts- und Weltkenner hierüber geur-
theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt
sich folgendermassen aus:

"Unumschränkte Gewalt, welche in
Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht
einer gebildeten Zeit, zu gemässigten Re-
gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-

Dem Vernünft’gen sind Lockspeise Schedschaai’s
Gedichte,
Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf.
Geh mein Gedicht und küſs’ vor dem Herrn die
Erde und sag’ ihm:
Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.

Einrede.

Um uns nun über das Verhältniſs der
Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es
noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu-
klären, auch uns über das knechtische Ver-
fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen,
möge eine und die andere Stelle hier eige-
schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie
Geschichts- und Weltkenner hierüber geur-
theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt
sich folgendermaſsen aus:

„Unumschränkte Gewalt, welche in
Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht
einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re-
gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0355" n="345"/>
          <lg type="poem">
            <l>Dem Vernünft&#x2019;gen sind Lockspeise Schedschaai&#x2019;s</l><lb/>
            <l>Gedichte,</l><lb/>
            <l>Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf.</l><lb/>
            <l>Geh mein Gedicht und kü&#x017F;s&#x2019; vor dem Herrn die</l><lb/>
            <l>Erde und sag&#x2019; ihm:</l><lb/>
            <l>Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Einrede</hi></hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Um uns nun über das Verhältni&#x017F;s der<lb/>
Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es<lb/>
noch menschlich sey, einigerma&#x017F;sen aufzu-<lb/>
klären, auch uns über das knechtische Ver-<lb/>
fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen,<lb/>
möge eine und die andere Stelle hier eige-<lb/>
schaltet seyn, welche Zeugni&#x017F;s giebt wie<lb/>
Geschichts- und Weltkenner hierüber geur-<lb/>
theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt<lb/>
sich folgenderma&#x017F;sen aus:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Unumschränkte Gewalt, welche in<lb/>
Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht<lb/>
einer gebildeten Zeit, zu gemä&#x017F;sigten Re-<lb/>
gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0355] Dem Vernünft’gen sind Lockspeise Schedschaai’s Gedichte, Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf. Geh mein Gedicht und küſs’ vor dem Herrn die Erde und sag’ ihm: Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du. Einrede. Um uns nun über das Verhältniſs der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu- klären, auch uns über das knechtische Ver- fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eige- schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie Geschichts- und Weltkenner hierüber geur- theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermaſsen aus: „Unumschränkte Gewalt, welche in Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re- gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/355
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/355>, abgerufen am 25.04.2024.