Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite
Orientalischer Poesie
Ur-Elemente
.

In der Arabischen Sprache wird man
wenig Stamm- und Wurzelworte finden,
die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst
geringer An- und Umbildung sich nicht
auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen.
Diesen allerersten Natur- und Lebensaus-
druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen-
nen. Alles was der Mensch natürlich frey
ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der
Araber mit Kameel und Pferd so innig ver-
wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts
begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe
zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir-
ken mit dem seinigen lebendig verbände.
Denkt man zu den obengenannten noch an-
dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem
frey umherziehenden Beduinen oft genug
vors Auge kommen, so wird man auch diese
in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei-
tet man nun so fort und beachtet alles übri-
ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und

Orientalischer Poesie
Ur-Elemente
.

In der Arabischen Sprache wird man
wenig Stamm- und Wurzelworte finden,
die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst
geringer An- und Umbildung sich nicht
auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen.
Diesen allerersten Natur- und Lebensaus-
druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen-
nen. Alles was der Mensch natürlich frey
ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der
Araber mit Kameel und Pferd so innig ver-
wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts
begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe
zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir-
ken mit dem seinigen lebendig verbände.
Denkt man zu den obengenannten noch an-
dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem
frey umherziehenden Beduinen oft genug
vors Auge kommen, so wird man auch diese
in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei-
tet man nun so fort und beachtet alles übri-
ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0371" n="361"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#i">Orientalischer Poesie<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ur-Elemente</hi></hi></hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>In der Arabischen Sprache wird man<lb/>
wenig Stamm- und Wurzelworte finden,<lb/>
die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst<lb/>
geringer An- und Umbildung sich nicht<lb/>
auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen.<lb/>
Diesen allerersten Natur- und Lebensaus-<lb/>
druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen-<lb/>
nen. Alles was der Mensch natürlich frey<lb/>
ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der<lb/>
Araber mit Kameel und Pferd so innig ver-<lb/>
wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts<lb/>
begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe<lb/>
zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir-<lb/>
ken mit dem seinigen lebendig verbände.<lb/>
Denkt man zu den obengenannten noch an-<lb/>
dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem<lb/>
frey umherziehenden Beduinen oft genug<lb/>
vors Auge kommen, so wird man auch diese<lb/>
in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei-<lb/>
tet man nun so fort und beachtet alles übri-<lb/>
ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0371] Orientalischer Poesie Ur-Elemente. In der Arabischen Sprache wird man wenig Stamm- und Wurzelworte finden, die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst geringer An- und Umbildung sich nicht auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen. Diesen allerersten Natur- und Lebensaus- druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen- nen. Alles was der Mensch natürlich frey ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der Araber mit Kameel und Pferd so innig ver- wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir- ken mit dem seinigen lebendig verbände. Denkt man zu den obengenannten noch an- dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem frey umherziehenden Beduinen oft genug vors Auge kommen, so wird man auch diese in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei- tet man nun so fort und beachtet alles übri- ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/371
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/371>, abgerufen am 28.03.2024.