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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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sieht man an der Hochschätzung der Fabeln
des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung
und Fortsetzung derselben. Die Vögelge-
spräche des Ferideddin Attar geben hievon
gleichfalls das schönste Beyspiel.


Buch-Orakel.

Der in jedem Tag düster befangene,
nach einer aufgehellten Zukunft sich um-
schauende Mensch greift begierig nach Zu-
fälligkeiten, um irgend eine weissagende
Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos-
sene findet nur sein Heil im Entschluss,
dem Ausspruch des Looses sich zu unter-
werfen. Solcher Art ist die überall her-
kömmliche Orakelfrage an irgend ein be-
deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man
eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich-
nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach-
tet. Wir waren früher mit Personen genau
verbunden, welche sich auf diese Weise bey
der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen

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sieht man an der Hochschätzung der Fabeln
des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung
und Fortsetzung derselben. Die Vögelge-
spräche des Ferideddin Attar geben hievon
gleichfalls das schönste Beyspiel.


Buch-Orakel.

Der in jedem Tag düster befangene,
nach einer aufgehellten Zukunft sich um-
schauende Mensch greift begierig nach Zu-
fälligkeiten, um irgend eine weissagende
Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos-
sene findet nur sein Heil im Entschluſs,
dem Ausspruch des Looses sich zu unter-
werfen. Solcher Art ist die überall her-
kömmliche Orakelfrage an irgend ein be-
deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man
eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich-
nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach-
tet. Wir waren früher mit Personen genau
verbunden, welche sich auf diese Weise bey
der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen

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[385/0395] sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelge- spräche des Ferideddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beyspiel. Buch-Orakel. Der in jedem Tag düster befangene, nach einer aufgehellten Zukunft sich um- schauende Mensch greift begierig nach Zu- fälligkeiten, um irgend eine weissagende Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos- sene findet nur sein Heil im Entschluſs, dem Ausspruch des Looses sich zu unter- werfen. Solcher Art ist die überall her- kömmliche Orakelfrage an irgend ein be- deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich- nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach- tet. Wir waren früher mit Personen genau verbunden, welche sich auf diese Weise bey der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen 25

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/395>, abgerufen am 29.03.2024.