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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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119.

Hypochondristen sehen häufig schwarze Figuren als
Fäden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Diese
Erscheinungen zeigen sich auch bey anfangendem schwar-
zen Staar. Manche sehen halbdurchsichtige kleine Röh-
ren, wie Flügel von Insecten, Wasserbläschen von
verschiedener Größe, welche beym Heben des Auges
niedersinken, zuweilen gerade so in Verbindung hän-
gen, wie Froschlaich, und bald als völlige Sphären,
bald als Linsen bemerkt werden.

120.

Wie dort das Licht ohne äußeres Licht, so ent-
springen auch diese Bilder ohne äußre Bilder. Sie
sind theils vorübergehend, theils lebenslänglich dauernd.
Hiebey tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hy-
pochondristen sehen auch häufig gelbrothe schmale Bän-
der im Auge, oft heftiger und häufiger am Morgen,
oder bey leerem Magen.

121.

Daß der Eindruck irgend eines Bildes im Auge
einige Zeit verharre, kennen wir als ein physiologisches
Phänomen (23), die allzulange Dauer eines solchen
Eindrucks hingegen kann als krankhaft angesehen werden.

122.

Je schwächer das Auge ist, desto länger bleibt das
Bild in demselben. Die Retina stellt sich nicht sobald
wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art
von Paralyse ansehen (28).

119.

Hypochondriſten ſehen haͤufig ſchwarze Figuren als
Faͤden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Dieſe
Erſcheinungen zeigen ſich auch bey anfangendem ſchwar-
zen Staar. Manche ſehen halbdurchſichtige kleine Roͤh-
ren, wie Fluͤgel von Inſecten, Waſſerblaͤschen von
verſchiedener Groͤße, welche beym Heben des Auges
niederſinken, zuweilen gerade ſo in Verbindung haͤn-
gen, wie Froſchlaich, und bald als voͤllige Sphaͤren,
bald als Linſen bemerkt werden.

120.

Wie dort das Licht ohne aͤußeres Licht, ſo ent-
ſpringen auch dieſe Bilder ohne aͤußre Bilder. Sie
ſind theils voruͤbergehend, theils lebenslaͤnglich dauernd.
Hiebey tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hy-
pochondriſten ſehen auch haͤufig gelbrothe ſchmale Baͤn-
der im Auge, oft heftiger und haͤufiger am Morgen,
oder bey leerem Magen.

121.

Daß der Eindruck irgend eines Bildes im Auge
einige Zeit verharre, kennen wir als ein phyſiologiſches
Phaͤnomen (23), die allzulange Dauer eines ſolchen
Eindrucks hingegen kann als krankhaft angeſehen werden.

122.

Je ſchwaͤcher das Auge iſt, deſto laͤnger bleibt das
Bild in demſelben. Die Retina ſtellt ſich nicht ſobald
wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art
von Paralyſe anſehen (28).

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[47/0101] 119. Hypochondriſten ſehen haͤufig ſchwarze Figuren als Faͤden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich auch bey anfangendem ſchwar- zen Staar. Manche ſehen halbdurchſichtige kleine Roͤh- ren, wie Fluͤgel von Inſecten, Waſſerblaͤschen von verſchiedener Groͤße, welche beym Heben des Auges niederſinken, zuweilen gerade ſo in Verbindung haͤn- gen, wie Froſchlaich, und bald als voͤllige Sphaͤren, bald als Linſen bemerkt werden. 120. Wie dort das Licht ohne aͤußeres Licht, ſo ent- ſpringen auch dieſe Bilder ohne aͤußre Bilder. Sie ſind theils voruͤbergehend, theils lebenslaͤnglich dauernd. Hiebey tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hy- pochondriſten ſehen auch haͤufig gelbrothe ſchmale Baͤn- der im Auge, oft heftiger und haͤufiger am Morgen, oder bey leerem Magen. 121. Daß der Eindruck irgend eines Bildes im Auge einige Zeit verharre, kennen wir als ein phyſiologiſches Phaͤnomen (23), die allzulange Dauer eines ſolchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angeſehen werden. 122. Je ſchwaͤcher das Auge iſt, deſto laͤnger bleibt das Bild in demſelben. Die Retina ſtellt ſich nicht ſobald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyſe anſehen (28).

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/101>, abgerufen am 23.04.2024.