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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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logischen an, und scheinen nur um einen geringen
Grad mehr Realität zu haben. Denn wenn bey jenen
vorzüglich das Auge wirksam war, und wir die Phä-
nomene derselben nur in uns, nicht aber außer uns
darzustellen vermochten; so tritt nun hier der Fall ein,
daß zwar Farben im Auge durch farblose Gegenstände
erregt werden, daß wir aber auch eine farblose Fläche
an die Stelle unserer Retina setzen und auf derselben
die Erscheinung außer uns gewahr werden können; wo-
bey uns jedoch alle Erfahrungen auf das bestimmteste
überzeugen, daß hier nicht von fertigen, sondern von
werdenden und wechselnden Farben die Rede sey.

138.

Wir sehen uns deßhalb bey diesen physischen Far-
ben durchaus im Stande, einem subjectiven Phänomen
ein objectives an die Seite zu setzen, und öfters, durch
die Verbindung beyder, mit Glück tiefer in die Natur
der Erscheinung einzudringen.

139.

Bey den Erfahrungen also, wobey wir die physi-
schen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht
für sich als wirkend, das Licht niemals in unmittelba-
rem Bezuge auf das Auge betrachtet; sondern wir rich-
ten unsere Aufmerksamkeit besonders darauf, wie durch
Mittel, und zwar farblose Mittel, verschiedene Bedin-
gungen entstehen.

140.

Das Licht kann auf dreyerley Weise unter diesen
Umständen bedingt werden. Erstlich, wenn es von

logiſchen an, und ſcheinen nur um einen geringen
Grad mehr Realitaͤt zu haben. Denn wenn bey jenen
vorzuͤglich das Auge wirkſam war, und wir die Phaͤ-
nomene derſelben nur in uns, nicht aber außer uns
darzuſtellen vermochten; ſo tritt nun hier der Fall ein,
daß zwar Farben im Auge durch farbloſe Gegenſtaͤnde
erregt werden, daß wir aber auch eine farbloſe Flaͤche
an die Stelle unſerer Retina ſetzen und auf derſelben
die Erſcheinung außer uns gewahr werden koͤnnen; wo-
bey uns jedoch alle Erfahrungen auf das beſtimmteſte
uͤberzeugen, daß hier nicht von fertigen, ſondern von
werdenden und wechſelnden Farben die Rede ſey.

138.

Wir ſehen uns deßhalb bey dieſen phyſiſchen Far-
ben durchaus im Stande, einem ſubjectiven Phaͤnomen
ein objectives an die Seite zu ſetzen, und oͤfters, durch
die Verbindung beyder, mit Gluͤck tiefer in die Natur
der Erſcheinung einzudringen.

139.

Bey den Erfahrungen alſo, wobey wir die phyſi-
ſchen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht
fuͤr ſich als wirkend, das Licht niemals in unmittelba-
rem Bezuge auf das Auge betrachtet; ſondern wir rich-
ten unſere Aufmerkſamkeit beſonders darauf, wie durch
Mittel, und zwar farbloſe Mittel, verſchiedene Bedin-
gungen entſtehen.

140.

Das Licht kann auf dreyerley Weiſe unter dieſen
Umſtaͤnden bedingt werden. Erſtlich, wenn es von

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[53/0107] logiſchen an, und ſcheinen nur um einen geringen Grad mehr Realitaͤt zu haben. Denn wenn bey jenen vorzuͤglich das Auge wirkſam war, und wir die Phaͤ- nomene derſelben nur in uns, nicht aber außer uns darzuſtellen vermochten; ſo tritt nun hier der Fall ein, daß zwar Farben im Auge durch farbloſe Gegenſtaͤnde erregt werden, daß wir aber auch eine farbloſe Flaͤche an die Stelle unſerer Retina ſetzen und auf derſelben die Erſcheinung außer uns gewahr werden koͤnnen; wo- bey uns jedoch alle Erfahrungen auf das beſtimmteſte uͤberzeugen, daß hier nicht von fertigen, ſondern von werdenden und wechſelnden Farben die Rede ſey. 138. Wir ſehen uns deßhalb bey dieſen phyſiſchen Far- ben durchaus im Stande, einem ſubjectiven Phaͤnomen ein objectives an die Seite zu ſetzen, und oͤfters, durch die Verbindung beyder, mit Gluͤck tiefer in die Natur der Erſcheinung einzudringen. 139. Bey den Erfahrungen alſo, wobey wir die phyſi- ſchen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht fuͤr ſich als wirkend, das Licht niemals in unmittelba- rem Bezuge auf das Auge betrachtet; ſondern wir rich- ten unſere Aufmerkſamkeit beſonders darauf, wie durch Mittel, und zwar farbloſe Mittel, verſchiedene Bedin- gungen entſtehen. 140. Das Licht kann auf dreyerley Weiſe unter dieſen Umſtaͤnden bedingt werden. Erſtlich, wenn es von

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/107>, abgerufen am 24.04.2024.