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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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worden. Die Sonne mag durch die kleinste Oeffnung
hereinscheinen, so dringt doch immer das Bild ihrer
ganzen Scheibe hindurch. Man mag das größte Pris-
ma in das freye Sonnenlicht stellen, so ist es doch
immer wieder das Sonnenbild, das sich an den Rän-
dern der brechenden Flächen selbst begränzt und die Ne-
benbilder dieser Begränzung hervorbringt. Man mag eine
vielfach ausgeschnittene Pappe vor das Wasserprisma
schieben, so sind es doch nur die Bilder aller Art, wel-
che, nachdem sie durch Brechung von ihrer Stelle ge-
rückt worden, farbige Ränder und Säume, und in
denselben durchaus vollkommene Nebenbilder zeigen.

337. (235.)

Haben uns bey subjectiven Versuchen stark von ein-
ander abstechende Bilder eine höchst lebhafte Farbener-
scheinung zu Wege gebracht; so wird diese bey objecti-
ven Versuchen noch viel lebhafter und herrlicher seyn,
weil das Sonnenbild von der höchsten Energie ist,
die wir kennen, daher auch dessen Nebenbild mäch-
tig und, ungeachtet seines secundären getrübten und
verdunkelten Zustandes, noch immer herrlich und glän-
zend seyn muß. Die vom Sonnenlicht durchs Prisma
auf irgend einen Gegenstand geworfenen Farben brin-
gen ein gewaltiges Licht mit sich, indem sie das höchst
energische Urlicht gleichsam im Hintergrunde haben.

338. (238.)

In wiefern wir auch diese Nebenbilder trüb nen-
nen und sie aus der Lehre von den trüben Mitteln ab-

worden. Die Sonne mag durch die kleinſte Oeffnung
hereinſcheinen, ſo dringt doch immer das Bild ihrer
ganzen Scheibe hindurch. Man mag das groͤßte Pris-
ma in das freye Sonnenlicht ſtellen, ſo iſt es doch
immer wieder das Sonnenbild, das ſich an den Raͤn-
dern der brechenden Flaͤchen ſelbſt begraͤnzt und die Ne-
benbilder dieſer Begraͤnzung hervorbringt. Man mag eine
vielfach ausgeſchnittene Pappe vor das Waſſerprisma
ſchieben, ſo ſind es doch nur die Bilder aller Art, wel-
che, nachdem ſie durch Brechung von ihrer Stelle ge-
ruͤckt worden, farbige Raͤnder und Saͤume, und in
denſelben durchaus vollkommene Nebenbilder zeigen.

337. (235.)

Haben uns bey ſubjectiven Verſuchen ſtark von ein-
ander abſtechende Bilder eine hoͤchſt lebhafte Farbener-
ſcheinung zu Wege gebracht; ſo wird dieſe bey objecti-
ven Verſuchen noch viel lebhafter und herrlicher ſeyn,
weil das Sonnenbild von der hoͤchſten Energie iſt,
die wir kennen, daher auch deſſen Nebenbild maͤch-
tig und, ungeachtet ſeines ſecundaͤren getruͤbten und
verdunkelten Zuſtandes, noch immer herrlich und glaͤn-
zend ſeyn muß. Die vom Sonnenlicht durchs Prisma
auf irgend einen Gegenſtand geworfenen Farben brin-
gen ein gewaltiges Licht mit ſich, indem ſie das hoͤchſt
energiſche Urlicht gleichſam im Hintergrunde haben.

338. (238.)

In wiefern wir auch dieſe Nebenbilder truͤb nen-
nen und ſie aus der Lehre von den truͤben Mitteln ab-

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[128/0182] worden. Die Sonne mag durch die kleinſte Oeffnung hereinſcheinen, ſo dringt doch immer das Bild ihrer ganzen Scheibe hindurch. Man mag das groͤßte Pris- ma in das freye Sonnenlicht ſtellen, ſo iſt es doch immer wieder das Sonnenbild, das ſich an den Raͤn- dern der brechenden Flaͤchen ſelbſt begraͤnzt und die Ne- benbilder dieſer Begraͤnzung hervorbringt. Man mag eine vielfach ausgeſchnittene Pappe vor das Waſſerprisma ſchieben, ſo ſind es doch nur die Bilder aller Art, wel- che, nachdem ſie durch Brechung von ihrer Stelle ge- ruͤckt worden, farbige Raͤnder und Saͤume, und in denſelben durchaus vollkommene Nebenbilder zeigen. 337. (235.) Haben uns bey ſubjectiven Verſuchen ſtark von ein- ander abſtechende Bilder eine hoͤchſt lebhafte Farbener- ſcheinung zu Wege gebracht; ſo wird dieſe bey objecti- ven Verſuchen noch viel lebhafter und herrlicher ſeyn, weil das Sonnenbild von der hoͤchſten Energie iſt, die wir kennen, daher auch deſſen Nebenbild maͤch- tig und, ungeachtet ſeines ſecundaͤren getruͤbten und verdunkelten Zuſtandes, noch immer herrlich und glaͤn- zend ſeyn muß. Die vom Sonnenlicht durchs Prisma auf irgend einen Gegenſtand geworfenen Farben brin- gen ein gewaltiges Licht mit ſich, indem ſie das hoͤchſt energiſche Urlicht gleichſam im Hintergrunde haben. 338. (238.) In wiefern wir auch dieſe Nebenbilder truͤb nen- nen und ſie aus der Lehre von den truͤben Mitteln ab-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/182>, abgerufen am 23.04.2024.