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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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sen sich von einander in dem Grade trennen, daß die
Flächen ihrer Theile sich noch hinreichend berühren; so
sieht man dieselben Kreise und Wellen mehr oder we-
niger. Man kann sie sehr schön hervorbringen, wenn
man eine erhitzte Glasmasse ins Wasser taucht, in de-
ren verschiedenen Rissen und Sprüngen man die Far-
ben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten
kann. Die Natur zeigt uns oft dasselbe Phänomen
an gesprungenem Bergkrystall.

449.

Häufig aber zeigt sich diese Erscheinung in der mi-
neralischen Welt an solchen Steinarten, welche ihrer
Natur nach blättrig sind. Diese ursprünglichen Lamel-
len sind zwar so innig verbunden, daß Steine dieser
Art auch völlig durchsichtig und farblos erscheinen kön-
nen; doch werden die innerlichen Blätter durch manche
Zufälle getrennt, ohne daß die Berührung aufgehoben
werde; und so wird die uns nun genugsam bekannte
Erscheinung öfters hervorgebracht, besonders bey Kalk-
späthen, bey Fraueneis, bey der Adularia und meh-
rern ähnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt also eine
Unkenntniß der nächsten Ursachen einer Erscheinung,
welche zufällig so oft hervorgebracht wird, wenn man
sie in der Mineralogie für so bedeutend hielt und den
Exemplaren, welche sie zeigten, einen besondern Werth
beylegte.

450.

Es bleibt uns nur noch übrig, von der höchst merk-
würdigen Umwendung dieses Phänomens zu sprechen,

ſen ſich von einander in dem Grade trennen, daß die
Flaͤchen ihrer Theile ſich noch hinreichend beruͤhren; ſo
ſieht man dieſelben Kreiſe und Wellen mehr oder we-
niger. Man kann ſie ſehr ſchoͤn hervorbringen, wenn
man eine erhitzte Glasmaſſe ins Waſſer taucht, in de-
ren verſchiedenen Riſſen und Spruͤngen man die Far-
ben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten
kann. Die Natur zeigt uns oft daſſelbe Phaͤnomen
an geſprungenem Bergkryſtall.

449.

Haͤufig aber zeigt ſich dieſe Erſcheinung in der mi-
neraliſchen Welt an ſolchen Steinarten, welche ihrer
Natur nach blaͤttrig ſind. Dieſe urſpruͤnglichen Lamel-
len ſind zwar ſo innig verbunden, daß Steine dieſer
Art auch voͤllig durchſichtig und farblos erſcheinen koͤn-
nen; doch werden die innerlichen Blaͤtter durch manche
Zufaͤlle getrennt, ohne daß die Beruͤhrung aufgehoben
werde; und ſo wird die uns nun genugſam bekannte
Erſcheinung oͤfters hervorgebracht, beſonders bey Kalk-
ſpaͤthen, bey Fraueneis, bey der Adularia und meh-
rern aͤhnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt alſo eine
Unkenntniß der naͤchſten Urſachen einer Erſcheinung,
welche zufaͤllig ſo oft hervorgebracht wird, wenn man
ſie in der Mineralogie fuͤr ſo bedeutend hielt und den
Exemplaren, welche ſie zeigten, einen beſondern Werth
beylegte.

450.

Es bleibt uns nur noch uͤbrig, von der hoͤchſt merk-
wuͤrdigen Umwendung dieſes Phaͤnomens zu ſprechen,

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[172/0226] ſen ſich von einander in dem Grade trennen, daß die Flaͤchen ihrer Theile ſich noch hinreichend beruͤhren; ſo ſieht man dieſelben Kreiſe und Wellen mehr oder we- niger. Man kann ſie ſehr ſchoͤn hervorbringen, wenn man eine erhitzte Glasmaſſe ins Waſſer taucht, in de- ren verſchiedenen Riſſen und Spruͤngen man die Far- ben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten kann. Die Natur zeigt uns oft daſſelbe Phaͤnomen an geſprungenem Bergkryſtall. 449. Haͤufig aber zeigt ſich dieſe Erſcheinung in der mi- neraliſchen Welt an ſolchen Steinarten, welche ihrer Natur nach blaͤttrig ſind. Dieſe urſpruͤnglichen Lamel- len ſind zwar ſo innig verbunden, daß Steine dieſer Art auch voͤllig durchſichtig und farblos erſcheinen koͤn- nen; doch werden die innerlichen Blaͤtter durch manche Zufaͤlle getrennt, ohne daß die Beruͤhrung aufgehoben werde; und ſo wird die uns nun genugſam bekannte Erſcheinung oͤfters hervorgebracht, beſonders bey Kalk- ſpaͤthen, bey Fraueneis, bey der Adularia und meh- rern aͤhnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt alſo eine Unkenntniß der naͤchſten Urſachen einer Erſcheinung, welche zufaͤllig ſo oft hervorgebracht wird, wenn man ſie in der Mineralogie fuͤr ſo bedeutend hielt und den Exemplaren, welche ſie zeigten, einen beſondern Werth beylegte. 450. Es bleibt uns nur noch uͤbrig, von der hoͤchſt merk- wuͤrdigen Umwendung dieſes Phaͤnomens zu ſprechen,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/226>, abgerufen am 25.04.2024.