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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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schungsweg einschlug und den Künstler aufrief, ge-
färbte Musterflächen aufzustellen, nach denen man die
natürlichen Gegenstände beurtheilen und bezeichnen
könnte. Man fragte nicht, wie geht die Natur zu
Werke, um diese und jene Farbe auf ihrem innern
lebendigen Wege hervorzubringen, sondern wie belebt
der Maler das Todte, um ein dem Lebendigen ähn-
liches Scheinbild darzustellen. Man ging also immer
von Mischung aus und kehrte auf Mischung zurück,
so daß man zuletzt das Gemischte wieder zu mischen
vornahm, um einige sonderbare Specificationen und
Individualisationen auszudrücken und zu unterscheiden.

616.

Uebrigens läßt sich bey der gedachten eingeführten
mineralischen Farbenterminologie noch manches erin-
nern. Man hat nehmlich die Benennungen nicht, wie
es doch meistens möglich gewesen wäre, aus dem Mi-
neralreich, sondern von allerley sichtbaren Gegenständen
genommen, da man doch mit größerem Vortheil auf
eigenem Grund und Boden hätte bleiben können. Fer-
ner hat man zu viel einzelne, specifische Ausdrücke
aufgenommen, und indem man, durch Vermischung
dieser Specificationen, wieder neue Bestimmungen
hervorzubringen suchte, nicht bedacht, daß man da-
durch vor der Imagination das Bild und vor dem
Verstand den Begriff völlig aufhebe. Zuletzt stehen
denn auch diese gewissermaßen als Grundbestimmungen
gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der
besten Ordnung, wie sie etwa von einander sich ab-

ſchungsweg einſchlug und den Kuͤnſtler aufrief, ge-
faͤrbte Muſterflaͤchen aufzuſtellen, nach denen man die
natuͤrlichen Gegenſtaͤnde beurtheilen und bezeichnen
koͤnnte. Man fragte nicht, wie geht die Natur zu
Werke, um dieſe und jene Farbe auf ihrem innern
lebendigen Wege hervorzubringen, ſondern wie belebt
der Maler das Todte, um ein dem Lebendigen aͤhn-
liches Scheinbild darzuſtellen. Man ging alſo immer
von Miſchung aus und kehrte auf Miſchung zuruͤck,
ſo daß man zuletzt das Gemiſchte wieder zu miſchen
vornahm, um einige ſonderbare Specificationen und
Individualiſationen auszudruͤcken und zu unterſcheiden.

616.

Uebrigens laͤßt ſich bey der gedachten eingefuͤhrten
mineraliſchen Farbenterminologie noch manches erin-
nern. Man hat nehmlich die Benennungen nicht, wie
es doch meiſtens moͤglich geweſen waͤre, aus dem Mi-
neralreich, ſondern von allerley ſichtbaren Gegenſtaͤnden
genommen, da man doch mit groͤßerem Vortheil auf
eigenem Grund und Boden haͤtte bleiben koͤnnen. Fer-
ner hat man zu viel einzelne, ſpecifiſche Ausdruͤcke
aufgenommen, und indem man, durch Vermiſchung
dieſer Specificationen, wieder neue Beſtimmungen
hervorzubringen ſuchte, nicht bedacht, daß man da-
durch vor der Imagination das Bild und vor dem
Verſtand den Begriff voͤllig aufhebe. Zuletzt ſtehen
denn auch dieſe gewiſſermaßen als Grundbeſtimmungen
gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der
beſten Ordnung, wie ſie etwa von einander ſich ab-

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[229/0283] ſchungsweg einſchlug und den Kuͤnſtler aufrief, ge- faͤrbte Muſterflaͤchen aufzuſtellen, nach denen man die natuͤrlichen Gegenſtaͤnde beurtheilen und bezeichnen koͤnnte. Man fragte nicht, wie geht die Natur zu Werke, um dieſe und jene Farbe auf ihrem innern lebendigen Wege hervorzubringen, ſondern wie belebt der Maler das Todte, um ein dem Lebendigen aͤhn- liches Scheinbild darzuſtellen. Man ging alſo immer von Miſchung aus und kehrte auf Miſchung zuruͤck, ſo daß man zuletzt das Gemiſchte wieder zu miſchen vornahm, um einige ſonderbare Specificationen und Individualiſationen auszudruͤcken und zu unterſcheiden. 616. Uebrigens laͤßt ſich bey der gedachten eingefuͤhrten mineraliſchen Farbenterminologie noch manches erin- nern. Man hat nehmlich die Benennungen nicht, wie es doch meiſtens moͤglich geweſen waͤre, aus dem Mi- neralreich, ſondern von allerley ſichtbaren Gegenſtaͤnden genommen, da man doch mit groͤßerem Vortheil auf eigenem Grund und Boden haͤtte bleiben koͤnnen. Fer- ner hat man zu viel einzelne, ſpecifiſche Ausdruͤcke aufgenommen, und indem man, durch Vermiſchung dieſer Specificationen, wieder neue Beſtimmungen hervorzubringen ſuchte, nicht bedacht, daß man da- durch vor der Imagination das Bild und vor dem Verſtand den Begriff voͤllig aufhebe. Zuletzt ſtehen denn auch dieſe gewiſſermaßen als Grundbeſtimmungen gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der beſten Ordnung, wie ſie etwa von einander ſich ab-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/283>, abgerufen am 19.04.2024.