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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Denn alles, was solchen organischen Wesen natürlich
begegnet, ist eine Wirkung von so vielen Prämissen,
daß ohne dieselben wenigstens angedeutet zu haben, nur
etwas Unzulängliches und Gewagtes ausgesprochen
wird.

654.

Wie wir bey den Pflanzen finden, daß ihr Höhe-
res, die ausgebildeten Blüten und Früchte auf dem
Stamme gleichsam gewurzelt sind, und sich von voll-
kommneren Säften nähren, als ihnen die Wurzel
zuerst zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die
Schmarotzerpflanzen, die das Organische als ihr Ele-
ment behandeln, an Kräften und Eigenschaften sich
ganz vorzüglich beweisen, so können wir auch die Fe-
dern der Vögel in einem gewissen Sinne mit den
Pflanzen vergleichen. Die Federn entspringen als ein
Letztes aus der Oberfläche eines Körpers, der noch
viel nach außen herzugeben hat, und sind deswegen
sehr reich ausgestattete Organe.

655.

Die Kiele erwachsen nicht allein verhältnißmäßig
zu einer ansehnlichen Größe, sondern sie sind durchaus
geästet, wodurch sie eigentlich zu Federn werden, und
manche dieser Ausästungen, Befiederungen sind wieder
subdividirt, wodurch sie abermals an die Pflanzen
erinnern.

656.

Die Federn sind sehr verschieden an Form und
Größe, aber sie bleiben immer dasselbe Organ, das

Denn alles, was ſolchen organiſchen Weſen natuͤrlich
begegnet, iſt eine Wirkung von ſo vielen Praͤmiſſen,
daß ohne dieſelben wenigſtens angedeutet zu haben, nur
etwas Unzulaͤngliches und Gewagtes ausgeſprochen
wird.

654.

Wie wir bey den Pflanzen finden, daß ihr Hoͤhe-
res, die ausgebildeten Bluͤten und Fruͤchte auf dem
Stamme gleichſam gewurzelt ſind, und ſich von voll-
kommneren Saͤften naͤhren, als ihnen die Wurzel
zuerſt zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die
Schmarotzerpflanzen, die das Organiſche als ihr Ele-
ment behandeln, an Kraͤften und Eigenſchaften ſich
ganz vorzuͤglich beweiſen, ſo koͤnnen wir auch die Fe-
dern der Voͤgel in einem gewiſſen Sinne mit den
Pflanzen vergleichen. Die Federn entſpringen als ein
Letztes aus der Oberflaͤche eines Koͤrpers, der noch
viel nach außen herzugeben hat, und ſind deswegen
ſehr reich ausgeſtattete Organe.

655.

Die Kiele erwachſen nicht allein verhaͤltnißmaͤßig
zu einer anſehnlichen Groͤße, ſondern ſie ſind durchaus
geaͤſtet, wodurch ſie eigentlich zu Federn werden, und
manche dieſer Ausaͤſtungen, Befiederungen ſind wieder
ſubdividirt, wodurch ſie abermals an die Pflanzen
erinnern.

656.

Die Federn ſind ſehr verſchieden an Form und
Groͤße, aber ſie bleiben immer daſſelbe Organ, das

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[242/0296] Denn alles, was ſolchen organiſchen Weſen natuͤrlich begegnet, iſt eine Wirkung von ſo vielen Praͤmiſſen, daß ohne dieſelben wenigſtens angedeutet zu haben, nur etwas Unzulaͤngliches und Gewagtes ausgeſprochen wird. 654. Wie wir bey den Pflanzen finden, daß ihr Hoͤhe- res, die ausgebildeten Bluͤten und Fruͤchte auf dem Stamme gleichſam gewurzelt ſind, und ſich von voll- kommneren Saͤften naͤhren, als ihnen die Wurzel zuerſt zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die Schmarotzerpflanzen, die das Organiſche als ihr Ele- ment behandeln, an Kraͤften und Eigenſchaften ſich ganz vorzuͤglich beweiſen, ſo koͤnnen wir auch die Fe- dern der Voͤgel in einem gewiſſen Sinne mit den Pflanzen vergleichen. Die Federn entſpringen als ein Letztes aus der Oberflaͤche eines Koͤrpers, der noch viel nach außen herzugeben hat, und ſind deswegen ſehr reich ausgeſtattete Organe. 655. Die Kiele erwachſen nicht allein verhaͤltnißmaͤßig zu einer anſehnlichen Groͤße, ſondern ſie ſind durchaus geaͤſtet, wodurch ſie eigentlich zu Federn werden, und manche dieſer Ausaͤſtungen, Befiederungen ſind wieder ſubdividirt, wodurch ſie abermals an die Pflanzen erinnern. 656. Die Federn ſind ſehr verſchieden an Form und Groͤße, aber ſie bleiben immer daſſelbe Organ, das

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/296>, abgerufen am 19.04.2024.