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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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813.

So einfach also diese eigentlich harmonischen Ge-
gensätze sind, welche uns in dem engen Kreise gege-
ben werden, so wichtig ist der Wink, daß uns die
Natur durch Totalität zur Freyheit heraufzuheben an-
gelegt ist, und daß wir dießmal eine Naturerscheinung
zum ästhetischen Gebrauch unmittelbar überliefert er-
halten.

814.

Indem wir also aussprechen können, daß der Far-
benkreis, wie wir ihn angegeben, auch schon dem
Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe,
ist es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Re-
genbogen mit Unrecht als ein Beyspiel der Farbentota-
lität angenommen: denn es fehlt demselben die Haupt-
farbe, das reine Roth, der Purpur, welcher nicht
entstehen kann, da sich bey dieser Erscheinung so
wenig als bey dem hergebrachten prismatischen Bilde
das Gelbroth und Blauroth zu erreichen vermögen.

815.

Ueberhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines
Phänomen, wo die Farbentotalität völlig beysammen
wäre. Durch Versuche läßt sich ein solches in seiner
vollkommnen Schönheit hervorbringen. Wie sich aber
die völlige Erscheinung im Kreise zusammenstellt, ma-
chen wir uns am besten durch Pigmente auf Papier
begreiflich, bis wir, bey natürlichen Anlagen und
nach mancher Erfahrung und Uebung, uns endlich

813.

So einfach alſo dieſe eigentlich harmoniſchen Ge-
genſaͤtze ſind, welche uns in dem engen Kreiſe gege-
ben werden, ſo wichtig iſt der Wink, daß uns die
Natur durch Totalitaͤt zur Freyheit heraufzuheben an-
gelegt iſt, und daß wir dießmal eine Naturerſcheinung
zum aͤſthetiſchen Gebrauch unmittelbar uͤberliefert er-
halten.

814.

Indem wir alſo ausſprechen koͤnnen, daß der Far-
benkreis, wie wir ihn angegeben, auch ſchon dem
Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe,
iſt es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Re-
genbogen mit Unrecht als ein Beyſpiel der Farbentota-
litaͤt angenommen: denn es fehlt demſelben die Haupt-
farbe, das reine Roth, der Purpur, welcher nicht
entſtehen kann, da ſich bey dieſer Erſcheinung ſo
wenig als bey dem hergebrachten prismatiſchen Bilde
das Gelbroth und Blauroth zu erreichen vermoͤgen.

815.

Ueberhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines
Phaͤnomen, wo die Farbentotalitaͤt voͤllig beyſammen
waͤre. Durch Verſuche laͤßt ſich ein ſolches in ſeiner
vollkommnen Schoͤnheit hervorbringen. Wie ſich aber
die voͤllige Erſcheinung im Kreiſe zuſammenſtellt, ma-
chen wir uns am beſten durch Pigmente auf Papier
begreiflich, bis wir, bey natuͤrlichen Anlagen und
nach mancher Erfahrung und Uebung, uns endlich

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[304/0358] 813. So einfach alſo dieſe eigentlich harmoniſchen Ge- genſaͤtze ſind, welche uns in dem engen Kreiſe gege- ben werden, ſo wichtig iſt der Wink, daß uns die Natur durch Totalitaͤt zur Freyheit heraufzuheben an- gelegt iſt, und daß wir dießmal eine Naturerſcheinung zum aͤſthetiſchen Gebrauch unmittelbar uͤberliefert er- halten. 814. Indem wir alſo ausſprechen koͤnnen, daß der Far- benkreis, wie wir ihn angegeben, auch ſchon dem Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe, iſt es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Re- genbogen mit Unrecht als ein Beyſpiel der Farbentota- litaͤt angenommen: denn es fehlt demſelben die Haupt- farbe, das reine Roth, der Purpur, welcher nicht entſtehen kann, da ſich bey dieſer Erſcheinung ſo wenig als bey dem hergebrachten prismatiſchen Bilde das Gelbroth und Blauroth zu erreichen vermoͤgen. 815. Ueberhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines Phaͤnomen, wo die Farbentotalitaͤt voͤllig beyſammen waͤre. Durch Verſuche laͤßt ſich ein ſolches in ſeiner vollkommnen Schoͤnheit hervorbringen. Wie ſich aber die voͤllige Erſcheinung im Kreiſe zuſammenſtellt, ma- chen wir uns am beſten durch Pigmente auf Papier begreiflich, bis wir, bey natuͤrlichen Anlagen und nach mancher Erfahrung und Uebung, uns endlich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/358>, abgerufen am 28.03.2024.