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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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monisches Gleichgewicht zusammengestellt worden. Fin-
det sich aber dieses Gleichgewicht durch Instinct, oder
zufällig beobachtet, so entsteht eine angenehme Wir-
kung. Ich erinnere mich, daß ein hessischer Officier,
der aus Amerika kam, sein Gesicht nach Art der Wil-
den mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art
von Totalität entstand, die keine unangenehme Wir-
kung that.

836.

Die Völker des südlichen Europa's tragen zu Klei-
dern sehr lebhafte Farben. Die Seidenwaaren, welche
sie leichten Kaufs haben, begünstigen diese Neigung.
Auch sind besonders die Frauen mit ihren lebhaftesten
Miedern und Bändern immer mit der Gegend in Har-
monie, indem sie nicht im Stande sind, den Glanz
des Himmels und der Erde zu überscheinen.

837.

Die Geschichte der Färberey belehrt uns, daß bey
den Trachten der Nationen gewisse technische Bequem-
lichkeiten und Vortheile sehr großen Einfluß hatten.
So sieht man die Deutschen viel in Blau gehen, weil
es eine dauerhafte Farbe des Tuches ist; auch in
manchen Gegenden, alle Landleute in grünem Zwillich,
weil dieser gedachte Farbe gut annimmt. Möchte ein
Reisender hierauf achten, so würden ihm bald ange-
nehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.

838.

Farben, wie sie Stimmungen hervorbringen, fü-
gen sich auch zu Stimmungen und Zuständen. Leb-

moniſches Gleichgewicht zuſammengeſtellt worden. Fin-
det ſich aber dieſes Gleichgewicht durch Inſtinct, oder
zufaͤllig beobachtet, ſo entſteht eine angenehme Wir-
kung. Ich erinnere mich, daß ein heſſiſcher Officier,
der aus Amerika kam, ſein Geſicht nach Art der Wil-
den mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art
von Totalitaͤt entſtand, die keine unangenehme Wir-
kung that.

836.

Die Voͤlker des ſuͤdlichen Europa’s tragen zu Klei-
dern ſehr lebhafte Farben. Die Seidenwaaren, welche
ſie leichten Kaufs haben, beguͤnſtigen dieſe Neigung.
Auch ſind beſonders die Frauen mit ihren lebhafteſten
Miedern und Baͤndern immer mit der Gegend in Har-
monie, indem ſie nicht im Stande ſind, den Glanz
des Himmels und der Erde zu uͤberſcheinen.

837.

Die Geſchichte der Faͤrberey belehrt uns, daß bey
den Trachten der Nationen gewiſſe techniſche Bequem-
lichkeiten und Vortheile ſehr großen Einfluß hatten.
So ſieht man die Deutſchen viel in Blau gehen, weil
es eine dauerhafte Farbe des Tuches iſt; auch in
manchen Gegenden, alle Landleute in gruͤnem Zwillich,
weil dieſer gedachte Farbe gut annimmt. Moͤchte ein
Reiſender hierauf achten, ſo wuͤrden ihm bald ange-
nehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.

838.

Farben, wie ſie Stimmungen hervorbringen, fuͤ-
gen ſich auch zu Stimmungen und Zuſtaͤnden. Leb-

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[312/0366] moniſches Gleichgewicht zuſammengeſtellt worden. Fin- det ſich aber dieſes Gleichgewicht durch Inſtinct, oder zufaͤllig beobachtet, ſo entſteht eine angenehme Wir- kung. Ich erinnere mich, daß ein heſſiſcher Officier, der aus Amerika kam, ſein Geſicht nach Art der Wil- den mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art von Totalitaͤt entſtand, die keine unangenehme Wir- kung that. 836. Die Voͤlker des ſuͤdlichen Europa’s tragen zu Klei- dern ſehr lebhafte Farben. Die Seidenwaaren, welche ſie leichten Kaufs haben, beguͤnſtigen dieſe Neigung. Auch ſind beſonders die Frauen mit ihren lebhafteſten Miedern und Baͤndern immer mit der Gegend in Har- monie, indem ſie nicht im Stande ſind, den Glanz des Himmels und der Erde zu uͤberſcheinen. 837. Die Geſchichte der Faͤrberey belehrt uns, daß bey den Trachten der Nationen gewiſſe techniſche Bequem- lichkeiten und Vortheile ſehr großen Einfluß hatten. So ſieht man die Deutſchen viel in Blau gehen, weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches iſt; auch in manchen Gegenden, alle Landleute in gruͤnem Zwillich, weil dieſer gedachte Farbe gut annimmt. Moͤchte ein Reiſender hierauf achten, ſo wuͤrden ihm bald ange- nehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen. 838. Farben, wie ſie Stimmungen hervorbringen, fuͤ- gen ſich auch zu Stimmungen und Zuſtaͤnden. Leb-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/366>, abgerufen am 16.04.2024.