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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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denn aber auch von der Knechtschaft dieser Lehre auf
ewige Zeiten befreyt fühlen werden.

25.

Lichter -- Mit diesem Plural kommt die Sub- und
Obreption, deren sich Newton durch das ganze Werk
schuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, meh-
rere Lichter! und was denn für Lichter?

welche an Farbe verschieden sind -- In dem ersten
und zweyten Versuche, welche zum Beweis dienen sollen,
führt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen
Wirkungen, die von dorther in unser Auge kommen,
werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hy-
pothetischer Ausdruck: denn der gemeine Sinn beobach-
tet nur, daß uns das Licht mit verschiedenen Eigen-
schaften der Oberflächen bekannt macht; daß aber das-
jenige, was von diesen zurückstrahlt, als ein verschie-
denartiges Licht angesehen werden könne, darf nicht
vorausgesetzt werden.

Genug wir haben schon farbige Lichter fertig, ehe
noch von einem farblosen die Rede gewesen. Wir ope-
riren schon mit farbigen Lichtern, und erst hinterdrein
vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Ursprung seyn
möchte. Daß aber hier von Lichtern die Rede nicht
seyn könne, davon ist jeder überzeugt, der den Entwurf
unserer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben
nämlich genugsam dargethan, daß alle Farbe einem
Licht und Nicht-Licht ihr Daseyn schuldig sey, daß die
Farbe sich durchaus zum Dunkeln hinneige, daß sie ein

denn aber auch von der Knechtſchaft dieſer Lehre auf
ewige Zeiten befreyt fuͤhlen werden.

25.

Lichter — Mit dieſem Plural kommt die Sub- und
Obreption, deren ſich Newton durch das ganze Werk
ſchuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, meh-
rere Lichter! und was denn fuͤr Lichter?

welche an Farbe verſchieden ſind — In dem erſten
und zweyten Verſuche, welche zum Beweis dienen ſollen,
fuͤhrt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen
Wirkungen, die von dorther in unſer Auge kommen,
werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hy-
pothetiſcher Ausdruck: denn der gemeine Sinn beobach-
tet nur, daß uns das Licht mit verſchiedenen Eigen-
ſchaften der Oberflaͤchen bekannt macht; daß aber das-
jenige, was von dieſen zuruͤckſtrahlt, als ein verſchie-
denartiges Licht angeſehen werden koͤnne, darf nicht
vorausgeſetzt werden.

Genug wir haben ſchon farbige Lichter fertig, ehe
noch von einem farbloſen die Rede geweſen. Wir ope-
riren ſchon mit farbigen Lichtern, und erſt hinterdrein
vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Urſprung ſeyn
moͤchte. Daß aber hier von Lichtern die Rede nicht
ſeyn koͤnne, davon iſt jeder uͤberzeugt, der den Entwurf
unſerer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben
naͤmlich genugſam dargethan, daß alle Farbe einem
Licht und Nicht-Licht ihr Daſeyn ſchuldig ſey, daß die
Farbe ſich durchaus zum Dunkeln hinneige, daß ſie ein

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[370/0424] denn aber auch von der Knechtſchaft dieſer Lehre auf ewige Zeiten befreyt fuͤhlen werden. 25. Lichter — Mit dieſem Plural kommt die Sub- und Obreption, deren ſich Newton durch das ganze Werk ſchuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, meh- rere Lichter! und was denn fuͤr Lichter? welche an Farbe verſchieden ſind — In dem erſten und zweyten Verſuche, welche zum Beweis dienen ſollen, fuͤhrt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen Wirkungen, die von dorther in unſer Auge kommen, werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hy- pothetiſcher Ausdruck: denn der gemeine Sinn beobach- tet nur, daß uns das Licht mit verſchiedenen Eigen- ſchaften der Oberflaͤchen bekannt macht; daß aber das- jenige, was von dieſen zuruͤckſtrahlt, als ein verſchie- denartiges Licht angeſehen werden koͤnne, darf nicht vorausgeſetzt werden. Genug wir haben ſchon farbige Lichter fertig, ehe noch von einem farbloſen die Rede geweſen. Wir ope- riren ſchon mit farbigen Lichtern, und erſt hinterdrein vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Urſprung ſeyn moͤchte. Daß aber hier von Lichtern die Rede nicht ſeyn koͤnne, davon iſt jeder uͤberzeugt, der den Entwurf unſerer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben naͤmlich genugſam dargethan, daß alle Farbe einem Licht und Nicht-Licht ihr Daſeyn ſchuldig ſey, daß die Farbe ſich durchaus zum Dunkeln hinneige, daß ſie ein

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/424>, abgerufen am 25.04.2024.