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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newto-
nische Hypothese kennt, so sieht man ungefähr, was es
heißen soll. Er fordert hier einen schwarzen Grund,
damit ja nicht etwas von seinem supponirten unzerleg-
ten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfal-
lend vermuthet werden könne. Allein, wie schon gezeigt
ist, steht die Bedingung hier ganz unnütz, und nichts
verhindert mehr die wahre Einsicht in ein Phänomen,
oder einen Versuch, als überflüssige Bedingungen. Ei-
gentlich heißt alles nichts weiter, als man verschaffe sich
zwey gleiche Vierecke von rothem und blauem steifen
Papier und bringe sie genau neben einander.

Wollte nun der Verfasser fortfahren, seinen Versuch
richtig zu beschreiben, so mußte er vor allen Dingen
die Lage, Stellung, genug die Localität dieses zweyfar-
bigen Papiers genau angeben, anstatt daß sie jetzt der
Leser erst aus dem später folgenden nach und nach,
mühsam und nicht ohne Gefahr sich zu vergreifen, ein-
zeln zusammen suchen muß.

36.

Dieses Papier betrachtete ich durch ein gläsernes massives
Prisma, dessen zwey Seiten, durch welche das Licht zum
Auge gelangte, glatt und wohl polirt waren, und in einem
Winkel von ungefähr sechzig Graden zusammenstießen, den
ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich also nach
dem Papier schaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenster
dergestalt, daß die langen Seiten des Papiers und das Pris-
ma sich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene
Durchschnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen
denselben rechtwinklicht gerichtet war.

welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newto-
niſche Hypotheſe kennt, ſo ſieht man ungefaͤhr, was es
heißen ſoll. Er fordert hier einen ſchwarzen Grund,
damit ja nicht etwas von ſeinem ſupponirten unzerleg-
ten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfal-
lend vermuthet werden koͤnne. Allein, wie ſchon gezeigt
iſt, ſteht die Bedingung hier ganz unnuͤtz, und nichts
verhindert mehr die wahre Einſicht in ein Phaͤnomen,
oder einen Verſuch, als uͤberfluͤſſige Bedingungen. Ei-
gentlich heißt alles nichts weiter, als man verſchaffe ſich
zwey gleiche Vierecke von rothem und blauem ſteifen
Papier und bringe ſie genau neben einander.

Wollte nun der Verfaſſer fortfahren, ſeinen Verſuch
richtig zu beſchreiben, ſo mußte er vor allen Dingen
die Lage, Stellung, genug die Localitaͤt dieſes zweyfar-
bigen Papiers genau angeben, anſtatt daß ſie jetzt der
Leſer erſt aus dem ſpaͤter folgenden nach und nach,
muͤhſam und nicht ohne Gefahr ſich zu vergreifen, ein-
zeln zuſammen ſuchen muß.

36.

Dieſes Papier betrachtete ich durch ein glaͤſernes maſſives
Prisma, deſſen zwey Seiten, durch welche das Licht zum
Auge gelangte, glatt und wohl polirt waren, und in einem
Winkel von ungefaͤhr ſechzig Graden zuſammenſtießen, den
ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich alſo nach
dem Papier ſchaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenſter
dergeſtalt, daß die langen Seiten des Papiers und das Pris-
ma ſich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene
Durchſchnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen
denſelben rechtwinklicht gerichtet war.

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[377/0431] welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newto- niſche Hypotheſe kennt, ſo ſieht man ungefaͤhr, was es heißen ſoll. Er fordert hier einen ſchwarzen Grund, damit ja nicht etwas von ſeinem ſupponirten unzerleg- ten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfal- lend vermuthet werden koͤnne. Allein, wie ſchon gezeigt iſt, ſteht die Bedingung hier ganz unnuͤtz, und nichts verhindert mehr die wahre Einſicht in ein Phaͤnomen, oder einen Verſuch, als uͤberfluͤſſige Bedingungen. Ei- gentlich heißt alles nichts weiter, als man verſchaffe ſich zwey gleiche Vierecke von rothem und blauem ſteifen Papier und bringe ſie genau neben einander. Wollte nun der Verfaſſer fortfahren, ſeinen Verſuch richtig zu beſchreiben, ſo mußte er vor allen Dingen die Lage, Stellung, genug die Localitaͤt dieſes zweyfar- bigen Papiers genau angeben, anſtatt daß ſie jetzt der Leſer erſt aus dem ſpaͤter folgenden nach und nach, muͤhſam und nicht ohne Gefahr ſich zu vergreifen, ein- zeln zuſammen ſuchen muß. 36. Dieſes Papier betrachtete ich durch ein glaͤſernes maſſives Prisma, deſſen zwey Seiten, durch welche das Licht zum Auge gelangte, glatt und wohl polirt waren, und in einem Winkel von ungefaͤhr ſechzig Graden zuſammenſtießen, den ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich alſo nach dem Papier ſchaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenſter dergeſtalt, daß die langen Seiten des Papiers und das Pris- ma ſich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene Durchſchnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen denſelben rechtwinklicht gerichtet war.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/431>, abgerufen am 20.04.2024.