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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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tion; in dieser Ordnung und Proportion wachse nun
das Bild, bey mehr entfernter Tafel, immer an Länge,
bis es, da wo sie es endlich fest zu halten belieben, un-
gefähr um fünfmal länger ist als breit. Wenn sie nun
dieß Bild auf diese Stelle fixirt, beobachtet, gemessen
und auf allerley Weise gehandhabt haben, so ziehen sie
den Schluß, wenn in dem runden Bilde, das sie den
Abglanz eines Strahls nennen, alle Theile gleich refran-
gibel wären, so müßten sie nach der Refraction alle an
dem gleichen Orte anlangen und das Bild also noch
immer erscheinen wie vorher. Nun aber ist das Bild
länglicht, es bleiben also einige Theile des sogenannten
Strahls zurück, andre eilen vor, und also müssen sie
in sich eine verschiedene Determinabilität durch Refrac-
tion und folglich eine diverse Refrangibilität haben.
Ferner ist dieses Bild nicht weiß, sondern vielfarbig
und läßt eine aufeinander folgende bunte Reihe sehen;
daher sie denn auch schließen, daß jene angenomme-
nen divers refrangiblen Strahlen auch diverse Farben
haben müssen.

89.

Hierauf antworten wir gegenwärtig nichts weiter,
als daß das ganze Räsonnement auf einen falsch dar-
gestellten Versuch gebaut ist, der sich in der Natur an-
ders zeigt als im Buche; wobey hauptsächlich in Be-
trachtung kommt, daß das prismatische Bild, wie es
aus dem Prisma tritt, keinesweges eine stätige farbige
Reihe, sondern eine durch ein weißes Licht getrennte
farbige Erscheinung darstellt. Indem nun also Newton

tion; in dieſer Ordnung und Proportion wachſe nun
das Bild, bey mehr entfernter Tafel, immer an Laͤnge,
bis es, da wo ſie es endlich feſt zu halten belieben, un-
gefaͤhr um fuͤnfmal laͤnger iſt als breit. Wenn ſie nun
dieß Bild auf dieſe Stelle fixirt, beobachtet, gemeſſen
und auf allerley Weiſe gehandhabt haben, ſo ziehen ſie
den Schluß, wenn in dem runden Bilde, das ſie den
Abglanz eines Strahls nennen, alle Theile gleich refran-
gibel waͤren, ſo muͤßten ſie nach der Refraction alle an
dem gleichen Orte anlangen und das Bild alſo noch
immer erſcheinen wie vorher. Nun aber iſt das Bild
laͤnglicht, es bleiben alſo einige Theile des ſogenannten
Strahls zuruͤck, andre eilen vor, und alſo muͤſſen ſie
in ſich eine verſchiedene Determinabilitaͤt durch Refrac-
tion und folglich eine diverſe Refrangibilitaͤt haben.
Ferner iſt dieſes Bild nicht weiß, ſondern vielfarbig
und laͤßt eine aufeinander folgende bunte Reihe ſehen;
daher ſie denn auch ſchließen, daß jene angenomme-
nen divers refrangiblen Strahlen auch diverſe Farben
haben muͤſſen.

89.

Hierauf antworten wir gegenwaͤrtig nichts weiter,
als daß das ganze Raͤſonnement auf einen falſch dar-
geſtellten Verſuch gebaut iſt, der ſich in der Natur an-
ders zeigt als im Buche; wobey hauptſaͤchlich in Be-
trachtung kommt, daß das prismatiſche Bild, wie es
aus dem Prisma tritt, keinesweges eine ſtaͤtige farbige
Reihe, ſondern eine durch ein weißes Licht getrennte
farbige Erſcheinung darſtellt. Indem nun alſo Newton

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[405/0459] tion; in dieſer Ordnung und Proportion wachſe nun das Bild, bey mehr entfernter Tafel, immer an Laͤnge, bis es, da wo ſie es endlich feſt zu halten belieben, un- gefaͤhr um fuͤnfmal laͤnger iſt als breit. Wenn ſie nun dieß Bild auf dieſe Stelle fixirt, beobachtet, gemeſſen und auf allerley Weiſe gehandhabt haben, ſo ziehen ſie den Schluß, wenn in dem runden Bilde, das ſie den Abglanz eines Strahls nennen, alle Theile gleich refran- gibel waͤren, ſo muͤßten ſie nach der Refraction alle an dem gleichen Orte anlangen und das Bild alſo noch immer erſcheinen wie vorher. Nun aber iſt das Bild laͤnglicht, es bleiben alſo einige Theile des ſogenannten Strahls zuruͤck, andre eilen vor, und alſo muͤſſen ſie in ſich eine verſchiedene Determinabilitaͤt durch Refrac- tion und folglich eine diverſe Refrangibilitaͤt haben. Ferner iſt dieſes Bild nicht weiß, ſondern vielfarbig und laͤßt eine aufeinander folgende bunte Reihe ſehen; daher ſie denn auch ſchließen, daß jene angenomme- nen divers refrangiblen Strahlen auch diverſe Farben haben muͤſſen. 89. Hierauf antworten wir gegenwaͤrtig nichts weiter, als daß das ganze Raͤſonnement auf einen falſch dar- geſtellten Verſuch gebaut iſt, der ſich in der Natur an- ders zeigt als im Buche; wobey hauptſaͤchlich in Be- trachtung kommt, daß das prismatiſche Bild, wie es aus dem Prisma tritt, keinesweges eine ſtaͤtige farbige Reihe, ſondern eine durch ein weißes Licht getrennte farbige Erſcheinung darſtellt. Indem nun alſo Newton

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/459>, abgerufen am 25.04.2024.