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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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der Newtonischen Deduction Schritt vor Schritt zu fol-
gen und den Verfasser durch seine Irrwege zu be-
gleiten. Hierauf antworten wir, daß, wenn davon
die Rede ist, ein eingewurzeltes Vorurtheil zu zerstören,
man keinesweges seinen Zweck erreicht, indem man
bloß das Hauptapercü überliefert. Es ist nicht genug,
daß man zeigt, das Haus sey baufällig und unbewohn-
bar: denn es könnte doch immer noch gestützt und
nothdürftig eingerichtet werden; ja es ist nicht genug,
daß man es einreißt und zerstört, man muß auch den
Schutt wegschaffen, den Platz abräumen und ebnen.
Dann möchten sich allenfalls wohl Liebhaber finden,
einen neuen kunstgemäßen Bau aufzuführen.

135.

In diesem Sinne fahren wir fort, die Versuche zu
vermannigfaltigen. Will man das Phänomen, von
welchem die Rede ist, recht auffallend machen, so be-
diene man sich folgender Anstalt. Man bringe zwey
gleiche Prismen hart nebeneinander und stelle ihnen
eine Tafel entgegen, auf welcher zwey kleine runde
Oeffnungen horizontal neben einander in einiger Ent-
fernung eingeschnitten sind; man lasse aus dem einen
Prisma auf die eine Oeffnung den gelbrothen Theil des
Bildes, und aus dem andern Prisma den violetten Theil
auf die andere Oeffnung fallen; man fange die beyden
verschiedenfarbigen Bilder auf einer dahinter stehenden
weißen Tafel auf, und man wird sie horizontal neben-
einander sehen. Nun ergreife man ein Prisma, das
groß und lang genug ist, beyde Bildchen aufzufassen,

I. 28

der Newtoniſchen Deduction Schritt vor Schritt zu fol-
gen und den Verfaſſer durch ſeine Irrwege zu be-
gleiten. Hierauf antworten wir, daß, wenn davon
die Rede iſt, ein eingewurzeltes Vorurtheil zu zerſtoͤren,
man keinesweges ſeinen Zweck erreicht, indem man
bloß das Hauptaperçuͤ uͤberliefert. Es iſt nicht genug,
daß man zeigt, das Haus ſey baufaͤllig und unbewohn-
bar: denn es koͤnnte doch immer noch geſtuͤtzt und
nothduͤrftig eingerichtet werden; ja es iſt nicht genug,
daß man es einreißt und zerſtoͤrt, man muß auch den
Schutt wegſchaffen, den Platz abraͤumen und ebnen.
Dann moͤchten ſich allenfalls wohl Liebhaber finden,
einen neuen kunſtgemaͤßen Bau aufzufuͤhren.

135.

In dieſem Sinne fahren wir fort, die Verſuche zu
vermannigfaltigen. Will man das Phaͤnomen, von
welchem die Rede iſt, recht auffallend machen, ſo be-
diene man ſich folgender Anſtalt. Man bringe zwey
gleiche Prismen hart nebeneinander und ſtelle ihnen
eine Tafel entgegen, auf welcher zwey kleine runde
Oeffnungen horizontal neben einander in einiger Ent-
fernung eingeſchnitten ſind; man laſſe aus dem einen
Prisma auf die eine Oeffnung den gelbrothen Theil des
Bildes, und aus dem andern Prisma den violetten Theil
auf die andere Oeffnung fallen; man fange die beyden
verſchiedenfarbigen Bilder auf einer dahinter ſtehenden
weißen Tafel auf, und man wird ſie horizontal neben-
einander ſehen. Nun ergreife man ein Prisma, das
groß und lang genug iſt, beyde Bildchen aufzufaſſen,

I. 28
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[433/0487] der Newtoniſchen Deduction Schritt vor Schritt zu fol- gen und den Verfaſſer durch ſeine Irrwege zu be- gleiten. Hierauf antworten wir, daß, wenn davon die Rede iſt, ein eingewurzeltes Vorurtheil zu zerſtoͤren, man keinesweges ſeinen Zweck erreicht, indem man bloß das Hauptaperçuͤ uͤberliefert. Es iſt nicht genug, daß man zeigt, das Haus ſey baufaͤllig und unbewohn- bar: denn es koͤnnte doch immer noch geſtuͤtzt und nothduͤrftig eingerichtet werden; ja es iſt nicht genug, daß man es einreißt und zerſtoͤrt, man muß auch den Schutt wegſchaffen, den Platz abraͤumen und ebnen. Dann moͤchten ſich allenfalls wohl Liebhaber finden, einen neuen kunſtgemaͤßen Bau aufzufuͤhren. 135. In dieſem Sinne fahren wir fort, die Verſuche zu vermannigfaltigen. Will man das Phaͤnomen, von welchem die Rede iſt, recht auffallend machen, ſo be- diene man ſich folgender Anſtalt. Man bringe zwey gleiche Prismen hart nebeneinander und ſtelle ihnen eine Tafel entgegen, auf welcher zwey kleine runde Oeffnungen horizontal neben einander in einiger Ent- fernung eingeſchnitten ſind; man laſſe aus dem einen Prisma auf die eine Oeffnung den gelbrothen Theil des Bildes, und aus dem andern Prisma den violetten Theil auf die andere Oeffnung fallen; man fange die beyden verſchiedenfarbigen Bilder auf einer dahinter ſtehenden weißen Tafel auf, und man wird ſie horizontal neben- einander ſehen. Nun ergreife man ein Prisma, das groß und lang genug iſt, beyde Bildchen aufzufaſſen, I. 28

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/487>, abgerufen am 16.04.2024.