Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

bloß Hell und Dunkel, oder beydes mit Farbe, oder
Farbe mit Farbe wechseln. Wir können also hier
abermals kühn wiederholen, daß alles natürliche und
künstliche Sehen unmöglich wäre, wenn die Newioni-
sche Lehre wahr seyn sollte.

186.

Der Hauptirrthum, dessen Beweis man durch den
achten so wie durch die zwey ersten Versuche erzwingen
will, ist der: daß man farbigen Flächen, Farben,
wenn sie als Massen im Malersinne erscheinen und
wirken, eine Eigenschaft zuschreiben möchte, vermöge
welcher sie, nach der Refraction, früher oder später
in irgend einem Bildpunct anlangen; da es doch kei-
nen Bildpunct ohne Bild gibt, und die Aberration,
die bey Verrückung des Bildes durch Brechung sich
zeigt, bloß an den Rändern vorgeht, die Mitte des
Bildes hingegen nur in einem äußersten Falle afficirt
wird. Die diverse Refrangibilität ist also ein Mähr-
chen. Wahr aber ist, daß Refraction auf ein Bild
nicht rein wirkt, sondern ein Doppelbild hervorbringt,
dessen Eigenschaft wir in unserm Entwurf genugsam
klar gemacht haben.


bloß Hell und Dunkel, oder beydes mit Farbe, oder
Farbe mit Farbe wechſeln. Wir koͤnnen alſo hier
abermals kuͤhn wiederholen, daß alles natuͤrliche und
kuͤnſtliche Sehen unmoͤglich waͤre, wenn die Newioni-
ſche Lehre wahr ſeyn ſollte.

186.

Der Hauptirrthum, deſſen Beweis man durch den
achten ſo wie durch die zwey erſten Verſuche erzwingen
will, iſt der: daß man farbigen Flaͤchen, Farben,
wenn ſie als Maſſen im Malerſinne erſcheinen und
wirken, eine Eigenſchaft zuſchreiben moͤchte, vermoͤge
welcher ſie, nach der Refraction, fruͤher oder ſpaͤter
in irgend einem Bildpunct anlangen; da es doch kei-
nen Bildpunct ohne Bild gibt, und die Aberration,
die bey Verruͤckung des Bildes durch Brechung ſich
zeigt, bloß an den Raͤndern vorgeht, die Mitte des
Bildes hingegen nur in einem aͤußerſten Falle afficirt
wird. Die diverſe Refrangibilitaͤt iſt alſo ein Maͤhr-
chen. Wahr aber iſt, daß Refraction auf ein Bild
nicht rein wirkt, ſondern ein Doppelbild hervorbringt,
deſſen Eigenſchaft wir in unſerm Entwurf genugſam
klar gemacht haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0516" n="462"/>
bloß Hell und Dunkel, oder beydes mit Farbe, oder<lb/>
Farbe mit Farbe wech&#x017F;eln. Wir ko&#x0364;nnen al&#x017F;o hier<lb/>
abermals ku&#x0364;hn wiederholen, daß alles natu&#x0364;rliche und<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tliche Sehen unmo&#x0364;glich wa&#x0364;re, wenn die Newioni-<lb/>
&#x017F;che Lehre wahr &#x017F;eyn &#x017F;ollte.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>186.</head><lb/>
                <p>Der Hauptirrthum, de&#x017F;&#x017F;en Beweis man durch den<lb/>
achten &#x017F;o wie durch die zwey er&#x017F;ten Ver&#x017F;uche erzwingen<lb/>
will, i&#x017F;t der: daß man farbigen Fla&#x0364;chen, Farben,<lb/>
wenn &#x017F;ie als Ma&#x017F;&#x017F;en im Maler&#x017F;inne er&#x017F;cheinen und<lb/>
wirken, eine Eigen&#x017F;chaft zu&#x017F;chreiben mo&#x0364;chte, vermo&#x0364;ge<lb/>
welcher &#x017F;ie, nach der Refraction, fru&#x0364;her oder &#x017F;pa&#x0364;ter<lb/>
in irgend einem Bildpunct anlangen; da es doch kei-<lb/>
nen Bildpunct ohne Bild gibt, und die Aberration,<lb/>
die bey Verru&#x0364;ckung des Bildes durch Brechung &#x017F;ich<lb/>
zeigt, bloß an den Ra&#x0364;ndern vorgeht, die Mitte des<lb/>
Bildes hingegen nur in einem a&#x0364;ußer&#x017F;ten Falle afficirt<lb/>
wird. Die diver&#x017F;e Refrangibilita&#x0364;t i&#x017F;t al&#x017F;o ein Ma&#x0364;hr-<lb/>
chen. Wahr aber i&#x017F;t, daß Refraction auf ein Bild<lb/>
nicht rein wirkt, &#x017F;ondern ein Doppelbild hervorbringt,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Eigen&#x017F;chaft wir in un&#x017F;erm Entwurf genug&#x017F;am<lb/>
klar gemacht haben.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0516] bloß Hell und Dunkel, oder beydes mit Farbe, oder Farbe mit Farbe wechſeln. Wir koͤnnen alſo hier abermals kuͤhn wiederholen, daß alles natuͤrliche und kuͤnſtliche Sehen unmoͤglich waͤre, wenn die Newioni- ſche Lehre wahr ſeyn ſollte. 186. Der Hauptirrthum, deſſen Beweis man durch den achten ſo wie durch die zwey erſten Verſuche erzwingen will, iſt der: daß man farbigen Flaͤchen, Farben, wenn ſie als Maſſen im Malerſinne erſcheinen und wirken, eine Eigenſchaft zuſchreiben moͤchte, vermoͤge welcher ſie, nach der Refraction, fruͤher oder ſpaͤter in irgend einem Bildpunct anlangen; da es doch kei- nen Bildpunct ohne Bild gibt, und die Aberration, die bey Verruͤckung des Bildes durch Brechung ſich zeigt, bloß an den Raͤndern vorgeht, die Mitte des Bildes hingegen nur in einem aͤußerſten Falle afficirt wird. Die diverſe Refrangibilitaͤt iſt alſo ein Maͤhr- chen. Wahr aber iſt, daß Refraction auf ein Bild nicht rein wirkt, ſondern ein Doppelbild hervorbringt, deſſen Eigenſchaft wir in unſerm Entwurf genugſam klar gemacht haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/516
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/516>, abgerufen am 28.03.2024.