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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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274.

Das hier eintretende Verhältniß muß unsern Le-
sern, besonders denen auf die unser didactischer Vor-
trag Eindruck gemacht, schon genugsam bekannt seyn.
Es ist nämlich dieses, daß die Ränder eines farbigen
Bildes auf dunklem Grunde, besonders wenn die Far-
ben selbst dunkel sind, sich nur mit Aufmerksamkeit
beobachten lassen. Hier ist der Fall umgekehrt. Newton
bringt dunkle Bilder auf farbigen Grund, welche noch
überdieß von dem farbigen Lichte, das den Grund
hervorbringt, selbst beschienen und einigermaßen tingirt
werden. Daß die prismatischen Ränder sodann we-
niger an diesen Gegenständen erscheinen, sondern sich
mit ihnen vermischen oder am entgegengesetzten Ende
aufgehoben werden, ist natürlich, so daß sie also ziem-
lich begränzt und ohne merkliche Säume gesehen wer-
den. Um aber das Phänomen von allen Seiten auf
einmal deutlich zu machen, so haben wir auf unserer
zwölften Tafel auf den farbigen Gründen helle,
dunkle und farbige Bilder angebracht. Der Beobach-
ter kann sie sogleich durchs Prisma anschauen, und
wird die Ränder und Säume nach den verschiedenen
Verhältnissen des Hellen und Dunklen, so wie nach
den Eigenschaften der verschiedenen Farben, überall
erkennen und beobachten lernen. Er wird einsehen, wie
unglücklich der Newtonische Vortrag ist, der aus allen
Phänomenen immer nur eins, nur dasjenige heraus-
hebt, was ihm günstig seyn kann, alle die übrigen
aber verschweigt und verbirgt, und so von Anfang
bis zu Ende seiner belobten Optik verfährt.

274.

Das hier eintretende Verhaͤltniß muß unſern Le-
ſern, beſonders denen auf die unſer didactiſcher Vor-
trag Eindruck gemacht, ſchon genugſam bekannt ſeyn.
Es iſt naͤmlich dieſes, daß die Raͤnder eines farbigen
Bildes auf dunklem Grunde, beſonders wenn die Far-
ben ſelbſt dunkel ſind, ſich nur mit Aufmerkſamkeit
beobachten laſſen. Hier iſt der Fall umgekehrt. Newton
bringt dunkle Bilder auf farbigen Grund, welche noch
uͤberdieß von dem farbigen Lichte, das den Grund
hervorbringt, ſelbſt beſchienen und einigermaßen tingirt
werden. Daß die prismatiſchen Raͤnder ſodann we-
niger an dieſen Gegenſtaͤnden erſcheinen, ſondern ſich
mit ihnen vermiſchen oder am entgegengeſetzten Ende
aufgehoben werden, iſt natuͤrlich, ſo daß ſie alſo ziem-
lich begraͤnzt und ohne merkliche Saͤume geſehen wer-
den. Um aber das Phaͤnomen von allen Seiten auf
einmal deutlich zu machen, ſo haben wir auf unſerer
zwoͤlften Tafel auf den farbigen Gruͤnden helle,
dunkle und farbige Bilder angebracht. Der Beobach-
ter kann ſie ſogleich durchs Prisma anſchauen, und
wird die Raͤnder und Saͤume nach den verſchiedenen
Verhaͤltniſſen des Hellen und Dunklen, ſo wie nach
den Eigenſchaften der verſchiedenen Farben, uͤberall
erkennen und beobachten lernen. Er wird einſehen, wie
ungluͤcklich der Newtoniſche Vortrag iſt, der aus allen
Phaͤnomenen immer nur eins, nur dasjenige heraus-
hebt, was ihm guͤnſtig ſeyn kann, alle die uͤbrigen
aber verſchweigt und verbirgt, und ſo von Anfang
bis zu Ende ſeiner belobten Optik verfaͤhrt.

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[502/0556] 274. Das hier eintretende Verhaͤltniß muß unſern Le- ſern, beſonders denen auf die unſer didactiſcher Vor- trag Eindruck gemacht, ſchon genugſam bekannt ſeyn. Es iſt naͤmlich dieſes, daß die Raͤnder eines farbigen Bildes auf dunklem Grunde, beſonders wenn die Far- ben ſelbſt dunkel ſind, ſich nur mit Aufmerkſamkeit beobachten laſſen. Hier iſt der Fall umgekehrt. Newton bringt dunkle Bilder auf farbigen Grund, welche noch uͤberdieß von dem farbigen Lichte, das den Grund hervorbringt, ſelbſt beſchienen und einigermaßen tingirt werden. Daß die prismatiſchen Raͤnder ſodann we- niger an dieſen Gegenſtaͤnden erſcheinen, ſondern ſich mit ihnen vermiſchen oder am entgegengeſetzten Ende aufgehoben werden, iſt natuͤrlich, ſo daß ſie alſo ziem- lich begraͤnzt und ohne merkliche Saͤume geſehen wer- den. Um aber das Phaͤnomen von allen Seiten auf einmal deutlich zu machen, ſo haben wir auf unſerer zwoͤlften Tafel auf den farbigen Gruͤnden helle, dunkle und farbige Bilder angebracht. Der Beobach- ter kann ſie ſogleich durchs Prisma anſchauen, und wird die Raͤnder und Saͤume nach den verſchiedenen Verhaͤltniſſen des Hellen und Dunklen, ſo wie nach den Eigenſchaften der verſchiedenen Farben, uͤberall erkennen und beobachten lernen. Er wird einſehen, wie ungluͤcklich der Newtoniſche Vortrag iſt, der aus allen Phaͤnomenen immer nur eins, nur dasjenige heraus- hebt, was ihm guͤnſtig ſeyn kann, alle die uͤbrigen aber verſchweigt und verbirgt, und ſo von Anfang bis zu Ende ſeiner belobten Optik verfaͤhrt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/556>, abgerufen am 20.04.2024.