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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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er ein gebrochnes und doch völlig weißes Licht. In dem-
selben sind keine Farben sichtbar, wenn die Tafel gerade
steht; diese Farben aber kommen gleich zum Vorschein,
sobald die Tafel eine schiefe Richtung erhält. Weil er
von den Rändern und Säumen nichts wissen will, die
nur einseitig wirken, so supponirt er, daß bey schieferer
Lage der Tafel wirklich das ganze Spectrum entstehe,
aber nur das eine Ende davon sichtbar werde. Warum
wird denn aber das ans Gelbe stoßende Grün niemals
sichtbar? Warum kann man das Gelbe über die wei-
ße Tafel hin und her führen, so daß es immer im
Weißen endigt? wobey niemals ein Grün zum Vor-
schein kommt, und dieses ganz naturgemäß, weil hier
der gelbe und gelbrothe Rand nur einseitig wirkt, und
ihm der andere nicht entgegen kommen kann. Im zwey-
ten Falle äußert der Rand wieder seine einseitige Wir-
kung; Blau und Violett entstehen, ohne daß Gelb und
Gelbroth entspringen und entgegenstrahlen können.

397.

Um recht deutlich zu machen, daß diese Farben
hier bloß von dem Rande entstehen, so haben wir zu
diesem Versuch eine Tafel mit Erhöhungen, mit Stif-
ten, mit Kugelsegmenten angegeben, damit man sich
sogleich überzeugen könne, daß nur eine schattenwer-
fende Gränze innerhalb des gebrochenen aber noch wei-
ßen Lichtes, Farben hervorzubringen im Stande sey.

398.

Und wo diese weniger refrangiblen Strahlen im Lichte

er ein gebrochnes und doch voͤllig weißes Licht. In dem-
ſelben ſind keine Farben ſichtbar, wenn die Tafel gerade
ſteht; dieſe Farben aber kommen gleich zum Vorſchein,
ſobald die Tafel eine ſchiefe Richtung erhaͤlt. Weil er
von den Raͤndern und Saͤumen nichts wiſſen will, die
nur einſeitig wirken, ſo ſupponirt er, daß bey ſchieferer
Lage der Tafel wirklich das ganze Spectrum entſtehe,
aber nur das eine Ende davon ſichtbar werde. Warum
wird denn aber das ans Gelbe ſtoßende Gruͤn niemals
ſichtbar? Warum kann man das Gelbe uͤber die wei-
ße Tafel hin und her fuͤhren, ſo daß es immer im
Weißen endigt? wobey niemals ein Gruͤn zum Vor-
ſchein kommt, und dieſes ganz naturgemaͤß, weil hier
der gelbe und gelbrothe Rand nur einſeitig wirkt, und
ihm der andere nicht entgegen kommen kann. Im zwey-
ten Falle aͤußert der Rand wieder ſeine einſeitige Wir-
kung; Blau und Violett entſtehen, ohne daß Gelb und
Gelbroth entſpringen und entgegenſtrahlen koͤnnen.

397.

Um recht deutlich zu machen, daß dieſe Farben
hier bloß von dem Rande entſtehen, ſo haben wir zu
dieſem Verſuch eine Tafel mit Erhoͤhungen, mit Stif-
ten, mit Kugelſegmenten angegeben, damit man ſich
ſogleich uͤberzeugen koͤnne, daß nur eine ſchattenwer-
fende Graͤnze innerhalb des gebrochenen aber noch wei-
ßen Lichtes, Farben hervorzubringen im Stande ſey.

398.

Und wo dieſe weniger refrangiblen Strahlen im Lichte

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[544/0598] er ein gebrochnes und doch voͤllig weißes Licht. In dem- ſelben ſind keine Farben ſichtbar, wenn die Tafel gerade ſteht; dieſe Farben aber kommen gleich zum Vorſchein, ſobald die Tafel eine ſchiefe Richtung erhaͤlt. Weil er von den Raͤndern und Saͤumen nichts wiſſen will, die nur einſeitig wirken, ſo ſupponirt er, daß bey ſchieferer Lage der Tafel wirklich das ganze Spectrum entſtehe, aber nur das eine Ende davon ſichtbar werde. Warum wird denn aber das ans Gelbe ſtoßende Gruͤn niemals ſichtbar? Warum kann man das Gelbe uͤber die wei- ße Tafel hin und her fuͤhren, ſo daß es immer im Weißen endigt? wobey niemals ein Gruͤn zum Vor- ſchein kommt, und dieſes ganz naturgemaͤß, weil hier der gelbe und gelbrothe Rand nur einſeitig wirkt, und ihm der andere nicht entgegen kommen kann. Im zwey- ten Falle aͤußert der Rand wieder ſeine einſeitige Wir- kung; Blau und Violett entſtehen, ohne daß Gelb und Gelbroth entſpringen und entgegenſtrahlen koͤnnen. 397. Um recht deutlich zu machen, daß dieſe Farben hier bloß von dem Rande entſtehen, ſo haben wir zu dieſem Verſuch eine Tafel mit Erhoͤhungen, mit Stif- ten, mit Kugelſegmenten angegeben, damit man ſich ſogleich uͤberzeugen koͤnne, daß nur eine ſchattenwer- fende Graͤnze innerhalb des gebrochenen aber noch wei- ßen Lichtes, Farben hervorzubringen im Stande ſey. 398. Und wo dieſe weniger refrangiblen Strahlen im Lichte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/598>, abgerufen am 25.04.2024.