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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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444.

Hier beißt sich die Schlange wieder in den
Schwanz, und wir erleben zum hundertstenmal immer
eben dieselbe Verfahrungsart. Erst sind die Farben
völlig unveränderlich, dann wird eine gewisse Verän-
derung doch merklich, dieses Merkliche wird so lange
gequält bis es sich vermindert und wieder vermindert,
aber doch den Sinnen nicht entzogen werden kann, und
doch zuletzt für ganz und gar nichts erklärt. Ich
möchte wohl wissen, wie es mit der Physik anssähe,
wenn man durch alle Capitel so verfahren wäre.


Sechster Versuch.

445.

Wie nun diese Farben durch Refraction nicht zu verändern
sind, so sind sie es auch nicht durch Reflexion. Denn alle wei-
ße, graue, rothe, gelbe, grüne, blaue, violette Körper, als
Papier, Asche, Mennige, Auripigment, Indig, Bergblau,
Gold, Silber, Kupfer, Gras, blaue Blumen, Veilchen, Was-
serblasen mit verschiedenen Farben gefärbt, Papageyen-Federn,
die Tinetur der nephritischen Holzes u. dgl. erschienen im ro-
then homogenen Lichte völlig roth, im blauen Licht völlig
blau, im grünen Licht völlig grün, und so in den andern
Farben.

446.

Wenn wir nicht von Newton gewohnt wären, daß

444.

Hier beißt ſich die Schlange wieder in den
Schwanz, und wir erleben zum hundertſtenmal immer
eben dieſelbe Verfahrungsart. Erſt ſind die Farben
voͤllig unveraͤnderlich, dann wird eine gewiſſe Veraͤn-
derung doch merklich, dieſes Merkliche wird ſo lange
gequaͤlt bis es ſich vermindert und wieder vermindert,
aber doch den Sinnen nicht entzogen werden kann, und
doch zuletzt fuͤr ganz und gar nichts erklaͤrt. Ich
moͤchte wohl wiſſen, wie es mit der Phyſik ansſaͤhe,
wenn man durch alle Capitel ſo verfahren waͤre.


Sechſter Verſuch.

445.

Wie nun dieſe Farben durch Refraction nicht zu veraͤndern
ſind, ſo ſind ſie es auch nicht durch Reflexion. Denn alle wei-
ße, graue, rothe, gelbe, gruͤne, blaue, violette Koͤrper, als
Papier, Aſche, Mennige, Auripigment, Indig, Bergblau,
Gold, Silber, Kupfer, Gras, blaue Blumen, Veilchen, Waſ-
ſerblaſen mit verſchiedenen Farben gefaͤrbt, Papageyen-Federn,
die Tinetur der nephritiſchen Holzes u. dgl. erſchienen im ro-
then homogenen Lichte voͤllig roth, im blauen Licht voͤllig
blau, im gruͤnen Licht voͤllig gruͤn, und ſo in den andern
Farben.

446.

Wenn wir nicht von Newton gewohnt waͤren, daß

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[555/0609] 444. Hier beißt ſich die Schlange wieder in den Schwanz, und wir erleben zum hundertſtenmal immer eben dieſelbe Verfahrungsart. Erſt ſind die Farben voͤllig unveraͤnderlich, dann wird eine gewiſſe Veraͤn- derung doch merklich, dieſes Merkliche wird ſo lange gequaͤlt bis es ſich vermindert und wieder vermindert, aber doch den Sinnen nicht entzogen werden kann, und doch zuletzt fuͤr ganz und gar nichts erklaͤrt. Ich moͤchte wohl wiſſen, wie es mit der Phyſik ansſaͤhe, wenn man durch alle Capitel ſo verfahren waͤre. Sechſter Verſuch. 445. Wie nun dieſe Farben durch Refraction nicht zu veraͤndern ſind, ſo ſind ſie es auch nicht durch Reflexion. Denn alle wei- ße, graue, rothe, gelbe, gruͤne, blaue, violette Koͤrper, als Papier, Aſche, Mennige, Auripigment, Indig, Bergblau, Gold, Silber, Kupfer, Gras, blaue Blumen, Veilchen, Waſ- ſerblaſen mit verſchiedenen Farben gefaͤrbt, Papageyen-Federn, die Tinetur der nephritiſchen Holzes u. dgl. erſchienen im ro- then homogenen Lichte voͤllig roth, im blauen Licht voͤllig blau, im gruͤnen Licht voͤllig gruͤn, und ſo in den andern Farben. 446. Wenn wir nicht von Newton gewohnt waͤren, daß

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/609>, abgerufen am 28.03.2024.