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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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dem Maße, in welchem es nahe oder fern gesehen wird.
Schließen wir das Auge sogleich, wenn wir in die Son-
ne gesehen haben; so werden wir uns wundern, wie
klein das zurückgebliebene Bild erscheint.

22.

Kehren wir dagegen das geöffnete Auge nach einer
Wand, und betrachten das uns vorschwebende Gespenst
in Bezug auf andre Gegenstände; so werden wir es im-
mer größer erblicken, je weiter von uns es durch irgend
eine Fläche aufgefangen wird. Dieses Phänomen erklärt
sich wohl aus dem perspectivischen Gesetz, daß uns der
kleine nähere Gegenstand den größern entfernten zudeckt.

23.

Nach Beschaffenheit der Augen ist die Dauer dieses
Eindrucks verschieden. Sie verhält sich wie die Herstel-
lung der Netzhaut bey dem Uebergang aus dem Hellen
ins Dunkle (10), und kann also nach Minuten und Se-
cunden abgemessen werden, und zwar viel genauer, als
es bisher durch eine geschwungene, brennende Lunte, die
dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erscheint, gesche-
hen konnte.

24.

Besonders auch kommt die Energie in Betracht, wo-
mit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am längsten
bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger
leuchtende Körper lassen ihre Spur länger oder kürzer
zurück.

dem Maße, in welchem es nahe oder fern geſehen wird.
Schließen wir das Auge ſogleich, wenn wir in die Son-
ne geſehen haben; ſo werden wir uns wundern, wie
klein das zuruͤckgebliebene Bild erſcheint.

22.

Kehren wir dagegen das geoͤffnete Auge nach einer
Wand, und betrachten das uns vorſchwebende Geſpenſt
in Bezug auf andre Gegenſtaͤnde; ſo werden wir es im-
mer groͤßer erblicken, je weiter von uns es durch irgend
eine Flaͤche aufgefangen wird. Dieſes Phaͤnomen erklaͤrt
ſich wohl aus dem perſpectiviſchen Geſetz, daß uns der
kleine naͤhere Gegenſtand den groͤßern entfernten zudeckt.

23.

Nach Beſchaffenheit der Augen iſt die Dauer dieſes
Eindrucks verſchieden. Sie verhaͤlt ſich wie die Herſtel-
lung der Netzhaut bey dem Uebergang aus dem Hellen
ins Dunkle (10), und kann alſo nach Minuten und Se-
cunden abgemeſſen werden, und zwar viel genauer, als
es bisher durch eine geſchwungene, brennende Lunte, die
dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erſcheint, geſche-
hen konnte.

24.

Beſonders auch kommt die Energie in Betracht, wo-
mit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am laͤngſten
bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger
leuchtende Koͤrper laſſen ihre Spur laͤnger oder kuͤrzer
zuruͤck.

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[8/0062] dem Maße, in welchem es nahe oder fern geſehen wird. Schließen wir das Auge ſogleich, wenn wir in die Son- ne geſehen haben; ſo werden wir uns wundern, wie klein das zuruͤckgebliebene Bild erſcheint. 22. Kehren wir dagegen das geoͤffnete Auge nach einer Wand, und betrachten das uns vorſchwebende Geſpenſt in Bezug auf andre Gegenſtaͤnde; ſo werden wir es im- mer groͤßer erblicken, je weiter von uns es durch irgend eine Flaͤche aufgefangen wird. Dieſes Phaͤnomen erklaͤrt ſich wohl aus dem perſpectiviſchen Geſetz, daß uns der kleine naͤhere Gegenſtand den groͤßern entfernten zudeckt. 23. Nach Beſchaffenheit der Augen iſt die Dauer dieſes Eindrucks verſchieden. Sie verhaͤlt ſich wie die Herſtel- lung der Netzhaut bey dem Uebergang aus dem Hellen ins Dunkle (10), und kann alſo nach Minuten und Se- cunden abgemeſſen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geſchwungene, brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erſcheint, geſche- hen konnte. 24. Beſonders auch kommt die Energie in Betracht, wo- mit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am laͤngſten bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger leuchtende Koͤrper laſſen ihre Spur laͤnger oder kuͤrzer zuruͤck.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/62>, abgerufen am 20.04.2024.