Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Experimentator, wofür man Newton bisher gehalten,
daß ein so vortrefflicher Beobachter ein solches Experi-
ment anstellen und den Hauptumstand dabey übersehen
konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Versuch
angestellt, als insofern er seiner Meynung günstig war;
wenigstens beharrt er nur auf solchen, welche seiner
Hypothese schmeicheln. Und wie sollte er eine diverse
Refrangibilität, die von der Refraction selbst wieder
divers wäre, auch nur ahnden? In der Geschichte der
Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinander
setzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede seyn
wird, da wir in unserm Entwurf das Naturverhältniß
deutlich gemacht haben (682--687.).

471.

Eigentlich war die Newtonische Lehre auf der
Stelle todt, sobald die Achromasie entdeckt war.
Geistreiche Männer, z. B. unser Klügel, empfanden es,
drückten sich aber unentschieden darüber aus. Der
Schule hingegen, welche sich schon lange gewöhnt hatte,
an dieser Lehre zu leimen, zu flicken und zu verklei-
stern, feh[l]te es nicht an Wundärzten welche den Leich-
nam balsamirten, damit er auf ägyptische Weise, auch
nach seinem Tode, bey physischen Gelagen präsidiren
möge.

472.

Man brauchte neben der verschiedenen Brechbarkeit
auch noch den Ausdruck einer verschiedenen Zerstreu-

Experimentator, wofuͤr man Newton bisher gehalten,
daß ein ſo vortrefflicher Beobachter ein ſolches Experi-
ment anſtellen und den Hauptumſtand dabey uͤberſehen
konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Verſuch
angeſtellt, als inſofern er ſeiner Meynung guͤnſtig war;
wenigſtens beharrt er nur auf ſolchen, welche ſeiner
Hypotheſe ſchmeicheln. Und wie ſollte er eine diverſe
Refrangibilitaͤt, die von der Refraction ſelbſt wieder
divers waͤre, auch nur ahnden? In der Geſchichte der
Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinander
ſetzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede ſeyn
wird, da wir in unſerm Entwurf das Naturverhaͤltniß
deutlich gemacht haben (682—687.).

471.

Eigentlich war die Newtoniſche Lehre auf der
Stelle todt, ſobald die Achromaſie entdeckt war.
Geiſtreiche Maͤnner, z. B. unſer Kluͤgel, empfanden es,
druͤckten ſich aber unentſchieden daruͤber aus. Der
Schule hingegen, welche ſich ſchon lange gewoͤhnt hatte,
an dieſer Lehre zu leimen, zu flicken und zu verklei-
ſtern, feh[l]te es nicht an Wundaͤrzten welche den Leich-
nam balſamirten, damit er auf aͤgyptiſche Weiſe, auch
nach ſeinem Tode, bey phyſiſchen Gelagen praͤſidiren
moͤge.

472.

Man brauchte neben der verſchiedenen Brechbarkeit
auch noch den Ausdruck einer verſchiedenen Zerſtreu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0621" n="567"/>
Experimentator, wofu&#x0364;r man Newton bisher gehalten,<lb/>
daß ein &#x017F;o vortrefflicher Beobachter ein &#x017F;olches Experi-<lb/>
ment an&#x017F;tellen und den Hauptum&#x017F;tand dabey u&#x0364;ber&#x017F;ehen<lb/>
konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Ver&#x017F;uch<lb/>
ange&#x017F;tellt, als in&#x017F;ofern er &#x017F;einer Meynung gu&#x0364;n&#x017F;tig war;<lb/>
wenig&#x017F;tens beharrt er nur auf &#x017F;olchen, welche &#x017F;einer<lb/>
Hypothe&#x017F;e &#x017F;chmeicheln. Und wie &#x017F;ollte er eine diver&#x017F;e<lb/>
Refrangibilita&#x0364;t, die von der Refraction &#x017F;elb&#x017F;t wieder<lb/>
divers wa&#x0364;re, auch nur ahnden? In der Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinander<lb/>
&#x017F;etzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede &#x017F;eyn<lb/>
wird, da wir in un&#x017F;erm Entwurf das Naturverha&#x0364;ltniß<lb/>
deutlich gemacht haben (682&#x2014;687.).</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>471.</head><lb/>
                <p>Eigentlich war die Newtoni&#x017F;che Lehre auf der<lb/>
Stelle todt, &#x017F;obald die Achroma&#x017F;ie entdeckt war.<lb/>
Gei&#x017F;treiche Ma&#x0364;nner, z. B. un&#x017F;er Klu&#x0364;gel, empfanden es,<lb/>
dru&#x0364;ckten &#x017F;ich aber unent&#x017F;chieden daru&#x0364;ber aus. Der<lb/>
Schule hingegen, welche &#x017F;ich &#x017F;chon lange gewo&#x0364;hnt hatte,<lb/>
an die&#x017F;er Lehre zu leimen, zu flicken und zu verklei-<lb/>
&#x017F;tern, feh<supplied>l</supplied>te es nicht an Wunda&#x0364;rzten welche den Leich-<lb/>
nam bal&#x017F;amirten, damit er auf a&#x0364;gypti&#x017F;che Wei&#x017F;e, auch<lb/>
nach &#x017F;einem Tode, bey phy&#x017F;i&#x017F;chen Gelagen pra&#x0364;&#x017F;idiren<lb/>
mo&#x0364;ge.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>472.</head><lb/>
                <p>Man brauchte neben der ver&#x017F;chiedenen Brechbarkeit<lb/>
auch noch den Ausdruck einer ver&#x017F;chiedenen Zer&#x017F;treu-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[567/0621] Experimentator, wofuͤr man Newton bisher gehalten, daß ein ſo vortrefflicher Beobachter ein ſolches Experi- ment anſtellen und den Hauptumſtand dabey uͤberſehen konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Verſuch angeſtellt, als inſofern er ſeiner Meynung guͤnſtig war; wenigſtens beharrt er nur auf ſolchen, welche ſeiner Hypotheſe ſchmeicheln. Und wie ſollte er eine diverſe Refrangibilitaͤt, die von der Refraction ſelbſt wieder divers waͤre, auch nur ahnden? In der Geſchichte der Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinander ſetzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede ſeyn wird, da wir in unſerm Entwurf das Naturverhaͤltniß deutlich gemacht haben (682—687.). 471. Eigentlich war die Newtoniſche Lehre auf der Stelle todt, ſobald die Achromaſie entdeckt war. Geiſtreiche Maͤnner, z. B. unſer Kluͤgel, empfanden es, druͤckten ſich aber unentſchieden daruͤber aus. Der Schule hingegen, welche ſich ſchon lange gewoͤhnt hatte, an dieſer Lehre zu leimen, zu flicken und zu verklei- ſtern, fehlte es nicht an Wundaͤrzten welche den Leich- nam balſamirten, damit er auf aͤgyptiſche Weiſe, auch nach ſeinem Tode, bey phyſiſchen Gelagen praͤſidiren moͤge. 472. Man brauchte neben der verſchiedenen Brechbarkeit auch noch den Ausdruck einer verſchiedenen Zerſtreu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/621
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/621>, abgerufen am 25.04.2024.