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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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606.

In diesem Sinne mache man in einem mäßig
großen und hohen Zimmer folgende Vorrichtung. In
dem Winkel, da wo die Wand sich von der Decke
scheidet, bringe man eine Bahn schwarzes Papier ne-
ben einer Bahn weißen Papiers an; an der Decke da-
gegen bringe man, in gedachtem Winkel zusammensto-
ßend, über der schwarzen Bahn eine weiße, über der
weißen eine schwarze an, und betrachte nun diese Bah-
nen neben und über einander auf die Weise wie man
vorher zum Fenster hinaus sah. Der Bogen wird
wieder erscheinen, den man aber freylich von allen
andern, welche Ränder oder Leisten verursachen, un-
terscheiden muß. Wo der Bogen über die weiße Bahn
der Decke geht, wird er wie vorher, als er über den
weißen Himmel zog, gelb, wo er sich über die schwarze
Bahn zieht, blau erscheinen. Senkt man nun wie-
der das Prisma, so daß die Wand sich zurückzulegen
scheint; so wird der Bogen sich auf einmal umkehren,
wenn er über die umgekehrten Bahnen der Wand her-
läuft: auf der weißen Bahn wird er auch hier gelb,
und auf der schwarzen blau erscheinen.

607.

Ist man hiervon unterrichtet, so kann man auch
in der zufälligen Empirie, beym Spazirengehn in be-
schneiten Gegenden, bey hellen Sandwegen, die an
dunklen Rasenpartieen herlaufen, dasselbige Phänomen
gewahr werden. Um diese Erscheinung, welche um-

606.

In dieſem Sinne mache man in einem maͤßig
großen und hohen Zimmer folgende Vorrichtung. In
dem Winkel, da wo die Wand ſich von der Decke
ſcheidet, bringe man eine Bahn ſchwarzes Papier ne-
ben einer Bahn weißen Papiers an; an der Decke da-
gegen bringe man, in gedachtem Winkel zuſammenſto-
ßend, uͤber der ſchwarzen Bahn eine weiße, uͤber der
weißen eine ſchwarze an, und betrachte nun dieſe Bah-
nen neben und uͤber einander auf die Weiſe wie man
vorher zum Fenſter hinaus ſah. Der Bogen wird
wieder erſcheinen, den man aber freylich von allen
andern, welche Raͤnder oder Leiſten verurſachen, un-
terſcheiden muß. Wo der Bogen uͤber die weiße Bahn
der Decke geht, wird er wie vorher, als er uͤber den
weißen Himmel zog, gelb, wo er ſich uͤber die ſchwarze
Bahn zieht, blau erſcheinen. Senkt man nun wie-
der das Prisma, ſo daß die Wand ſich zuruͤckzulegen
ſcheint; ſo wird der Bogen ſich auf einmal umkehren,
wenn er uͤber die umgekehrten Bahnen der Wand her-
laͤuft: auf der weißen Bahn wird er auch hier gelb,
und auf der ſchwarzen blau erſcheinen.

607.

Iſt man hiervon unterrichtet, ſo kann man auch
in der zufaͤlligen Empirie, beym Spazirengehn in be-
ſchneiten Gegenden, bey hellen Sandwegen, die an
dunklen Raſenpartieen herlaufen, daſſelbige Phaͤnomen
gewahr werden. Um dieſe Erſcheinung, welche um-

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[621/0675] 606. In dieſem Sinne mache man in einem maͤßig großen und hohen Zimmer folgende Vorrichtung. In dem Winkel, da wo die Wand ſich von der Decke ſcheidet, bringe man eine Bahn ſchwarzes Papier ne- ben einer Bahn weißen Papiers an; an der Decke da- gegen bringe man, in gedachtem Winkel zuſammenſto- ßend, uͤber der ſchwarzen Bahn eine weiße, uͤber der weißen eine ſchwarze an, und betrachte nun dieſe Bah- nen neben und uͤber einander auf die Weiſe wie man vorher zum Fenſter hinaus ſah. Der Bogen wird wieder erſcheinen, den man aber freylich von allen andern, welche Raͤnder oder Leiſten verurſachen, un- terſcheiden muß. Wo der Bogen uͤber die weiße Bahn der Decke geht, wird er wie vorher, als er uͤber den weißen Himmel zog, gelb, wo er ſich uͤber die ſchwarze Bahn zieht, blau erſcheinen. Senkt man nun wie- der das Prisma, ſo daß die Wand ſich zuruͤckzulegen ſcheint; ſo wird der Bogen ſich auf einmal umkehren, wenn er uͤber die umgekehrten Bahnen der Wand her- laͤuft: auf der weißen Bahn wird er auch hier gelb, und auf der ſchwarzen blau erſcheinen. 607. Iſt man hiervon unterrichtet, ſo kann man auch in der zufaͤlligen Empirie, beym Spazirengehn in be- ſchneiten Gegenden, bey hellen Sandwegen, die an dunklen Raſenpartieen herlaufen, daſſelbige Phaͤnomen gewahr werden. Um dieſe Erſcheinung, welche um-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/675>, abgerufen am 25.04.2024.