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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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38.

Ein graues Bild auf schwarzem Grunde erscheint
viel heller, als dasselbe Bild auf weißem. Stellt man
beyde Fälle neben einander, so kann man sich kaum über-
zeugen, daß beyde Bilder aus Einem Topf gefärbt seyen.
Wir glauben hier abermals die große Regsamkeit der
Netzhaut zu bemerken und den stillen Widerspruch, den
jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgend
ein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das
Einathmen schon das Ausathmen voraus und umgekehrt;
so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige Formel
des Lebens, die sich auch hier äußert. Wie dem Auge
das Dunkle geboten wird, so fordert es das Helle;
es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt
und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit, sein Recht das
Object zu fassen, indem es etwas, das dem Object ent-
gegengesetzt ist, aus sich selbst hervorbringt.


IV.
Blendendes farbloses Bild.

39.

Wenn man ein blendendes völlig farbloses Bild an-
sieht, so macht solches einen starken dauernden Eindruck,
und das Abklingen desselben ist von einer Farbenerschei-
nung begleitet.

38.

Ein graues Bild auf ſchwarzem Grunde erſcheint
viel heller, als daſſelbe Bild auf weißem. Stellt man
beyde Faͤlle neben einander, ſo kann man ſich kaum uͤber-
zeugen, daß beyde Bilder aus Einem Topf gefaͤrbt ſeyen.
Wir glauben hier abermals die große Regſamkeit der
Netzhaut zu bemerken und den ſtillen Widerſpruch, den
jedes Lebendige zu aͤußern gedrungen iſt, wenn ihm irgend
ein beſtimmter Zuſtand dargeboten wird. So ſetzt das
Einathmen ſchon das Ausathmen voraus und umgekehrt;
ſo jede Syſtole ihre Diaſtole. Es iſt die ewige Formel
des Lebens, die ſich auch hier aͤußert. Wie dem Auge
das Dunkle geboten wird, ſo fordert es das Helle;
es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt
und zeigt eben dadurch ſeine Lebendigkeit, ſein Recht das
Object zu faſſen, indem es etwas, das dem Object ent-
gegengeſetzt iſt, aus ſich ſelbſt hervorbringt.


IV.
Blendendes farbloſes Bild.

39.

Wenn man ein blendendes voͤllig farbloſes Bild an-
ſieht, ſo macht ſolches einen ſtarken dauernden Eindruck,
und das Abklingen deſſelben iſt von einer Farbenerſchei-
nung begleitet.

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[14/0068] 38. Ein graues Bild auf ſchwarzem Grunde erſcheint viel heller, als daſſelbe Bild auf weißem. Stellt man beyde Faͤlle neben einander, ſo kann man ſich kaum uͤber- zeugen, daß beyde Bilder aus Einem Topf gefaͤrbt ſeyen. Wir glauben hier abermals die große Regſamkeit der Netzhaut zu bemerken und den ſtillen Widerſpruch, den jedes Lebendige zu aͤußern gedrungen iſt, wenn ihm irgend ein beſtimmter Zuſtand dargeboten wird. So ſetzt das Einathmen ſchon das Ausathmen voraus und umgekehrt; ſo jede Syſtole ihre Diaſtole. Es iſt die ewige Formel des Lebens, die ſich auch hier aͤußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, ſo fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt und zeigt eben dadurch ſeine Lebendigkeit, ſein Recht das Object zu faſſen, indem es etwas, das dem Object ent- gegengeſetzt iſt, aus ſich ſelbſt hervorbringt. IV. Blendendes farbloſes Bild. 39. Wenn man ein blendendes voͤllig farbloſes Bild an- ſieht, ſo macht ſolches einen ſtarken dauernden Eindruck, und das Abklingen deſſelben iſt von einer Farbenerſchei- nung begleitet.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/68>, abgerufen am 25.04.2024.