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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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40.

In einem Zimmer, das möglichst verdunkelt worden,
habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll
im Durchmesser, die man nach Belieben auf- und zude-
cken kann; durch selbige lasse man die Sonne auf ein
weißes Papier scheinen und sehe in einiger Entfernung starr
das erleuchtete Rund an; man schließe darauf die Oeff-
nung und blicke nach dem dunkelsten Orte des Zimmers;
so wird man eine runde Erscheinung vor sich schweben se-
hen. Die Mitte des Kreises wird man hell, farblos,
einigermaßen gelb sehen, der Rand aber wird sogleich
purpurfarben erscheinen.

Es dauert eine Zeit lang, bis diese Purpurfarbe von
außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den
hellen Mittelpunct völlig vertreibt. Kaum erscheint aber
das ganze Rund purpurfarben, so fängt der Rand an
blau zu werden, das Blaue verdrängt nach und nach
hereinwärts den Purpur. Ist die Erscheinung vollkom-
men blau, so wird der Rand dunkel und unfärbig. Es
währet lange, bis der unfärbige Rand völlig das Blaue
vertreibt und der ganze Raum unfärbig wird. Das Bild
nimmt sodann nach und nach ab und zwar dergestalt, daß
es zugleich schwächer und kleiner wird. Hier sehen wir
abermals, wie sich die Netzhaut, durch eine Succession
von Schwingungen, gegen den gewaltsamen äußern Ein-
druck nach und nach wieder herstellt. (25. 26.)

41.

Die Verhältnisse des Zeitmaßes dieser Erscheinung
habe ich an meinem Auge, bey mehrern Versuchen über-
einstimmend, folgendermaßen gefunden.

40.

In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden,
habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll
im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf- und zude-
cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein
weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr
das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff-
nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers;
ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe-
hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos,
einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich
purpurfarben erſcheinen.

Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von
außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den
hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber
das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an
blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach
hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom-
men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es
waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue
vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild
nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß
es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir
abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion
von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein-
druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)

41.

Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung
habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber-
einſtimmend, folgendermaßen gefunden.

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[15/0069] 40. In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf- und zude- cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff- nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers; ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe- hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos, einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich purpurfarben erſcheinen. Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom- men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein- druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.) 41. Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber- einſtimmend, folgendermaßen gefunden.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/69>, abgerufen am 25.04.2024.