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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Auf das blendende Bild hatte ich fünf Secunden ge-
sehen, darauf den Schieber geschlossen; da erblickt' ich
das farbige Scheinbild schwebend, und nach dreyzehn
Secunden erschien es ganz purpurfarben. Nun vergingen
wieder neun und zwanzig Secunden, bis das Ganze blau
erschien, und acht und vierzig, bis es mir farblos vor-
schwebte. Durch Schließen und Oeffnen des Auges be-
lebte ich das Bild immer wieder (27), so daß es sich erst
nach Verlauf von sieben Minuten ganz verlor.

Künftige Beobachter werden diese Zeiten kürzer oder
länger finden, je nachdem sie stärkere oder schwächere Au-
gen haben (23). Sehr merkwürdig aber wäre es, wenn
man demungeachtet durchaus ein gewisses Zahlenverhält-
niß dabey entdecken könnte.

42.

Aber dieses sonderbare Phänomen erregt nicht sobald
unsre Aufmerksamkeit, als wir schon eine neue Modifica-
tion desselben gewahr werden.

Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im
Auge aufgenommen und sehen in einem mäßig erleuchte-
ten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenstand; so schwebt
abermals ein Phänomen vor uns, aber ein dunkles,
das sich nach und nach von außen mit einem grünen Ran-
de einfaßt, welcher eben so, wie vorher der purpurne
Rand, sich über das ganze Rund hineinwärts verbreitet.
Ist dieses geschehen, so sieht man nunmehr ein schmutzi-
ges Gelb, das, wie in dem vorigen Versuche das Blau,
die Scheibe ausfüllt und zuletzt von einer Unfarbe ver-
schlungen wird.

Auf das blendende Bild hatte ich fuͤnf Secunden ge-
ſehen, darauf den Schieber geſchloſſen; da erblickt’ ich
das farbige Scheinbild ſchwebend, und nach dreyzehn
Secunden erſchien es ganz purpurfarben. Nun vergingen
wieder neun und zwanzig Secunden, bis das Ganze blau
erſchien, und acht und vierzig, bis es mir farblos vor-
ſchwebte. Durch Schließen und Oeffnen des Auges be-
lebte ich das Bild immer wieder (27), ſo daß es ſich erſt
nach Verlauf von ſieben Minuten ganz verlor.

Kuͤnftige Beobachter werden dieſe Zeiten kuͤrzer oder
laͤnger finden, je nachdem ſie ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Au-
gen haben (23). Sehr merkwuͤrdig aber waͤre es, wenn
man demungeachtet durchaus ein gewiſſes Zahlenverhaͤlt-
niß dabey entdecken koͤnnte.

42.

Aber dieſes ſonderbare Phaͤnomen erregt nicht ſobald
unſre Aufmerkſamkeit, als wir ſchon eine neue Modifica-
tion deſſelben gewahr werden.

Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im
Auge aufgenommen und ſehen in einem maͤßig erleuchte-
ten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenſtand; ſo ſchwebt
abermals ein Phaͤnomen vor uns, aber ein dunkles,
das ſich nach und nach von außen mit einem gruͤnen Ran-
de einfaßt, welcher eben ſo, wie vorher der purpurne
Rand, ſich uͤber das ganze Rund hineinwaͤrts verbreitet.
Iſt dieſes geſchehen, ſo ſieht man nunmehr ein ſchmutzi-
ges Gelb, das, wie in dem vorigen Verſuche das Blau,
die Scheibe ausfuͤllt und zuletzt von einer Unfarbe ver-
ſchlungen wird.

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[16/0070] Auf das blendende Bild hatte ich fuͤnf Secunden ge- ſehen, darauf den Schieber geſchloſſen; da erblickt’ ich das farbige Scheinbild ſchwebend, und nach dreyzehn Secunden erſchien es ganz purpurfarben. Nun vergingen wieder neun und zwanzig Secunden, bis das Ganze blau erſchien, und acht und vierzig, bis es mir farblos vor- ſchwebte. Durch Schließen und Oeffnen des Auges be- lebte ich das Bild immer wieder (27), ſo daß es ſich erſt nach Verlauf von ſieben Minuten ganz verlor. Kuͤnftige Beobachter werden dieſe Zeiten kuͤrzer oder laͤnger finden, je nachdem ſie ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Au- gen haben (23). Sehr merkwuͤrdig aber waͤre es, wenn man demungeachtet durchaus ein gewiſſes Zahlenverhaͤlt- niß dabey entdecken koͤnnte. 42. Aber dieſes ſonderbare Phaͤnomen erregt nicht ſobald unſre Aufmerkſamkeit, als wir ſchon eine neue Modifica- tion deſſelben gewahr werden. Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im Auge aufgenommen und ſehen in einem maͤßig erleuchte- ten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenſtand; ſo ſchwebt abermals ein Phaͤnomen vor uns, aber ein dunkles, das ſich nach und nach von außen mit einem gruͤnen Ran- de einfaßt, welcher eben ſo, wie vorher der purpurne Rand, ſich uͤber das ganze Rund hineinwaͤrts verbreitet. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſieht man nunmehr ein ſchmutzi- ges Gelb, das, wie in dem vorigen Verſuche das Blau, die Scheibe ausfuͤllt und zuletzt von einer Unfarbe ver- ſchlungen wird.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/70>, abgerufen am 20.04.2024.