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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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43.

Diese beyden Versuche lassen sich combiniren, wenn
man in einem mäßig hellen Zimmer eine schwarze und
weiße Tafel neben einander hinsetzt und, so lange das
Auge den Lichteindruck behält, bald auf die weiße, bald
auf die schwarze Tafel scharf hinblickt. Man wird als-
dann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein grünes Phä-
nomen und so weiter das übrige gewahr werden. Ja, wenn
man sich geübt hat, so lassen sich, indem man das schwe-
bende Phänomen dahin bringt, wo die zwey Tafeln an
einander stoßen, die beyden entgegengesetzten Farben zu-
gleich erblicken; welches um so bequemer geschehen kann,
als die Tafeln entfernter stehen, indem das Spectrum
alsdann größer erscheint.

44.

Ich befand mich gegen Abend in einer Eisenschmie-
de, als eben die glühende Masse unter den Hammer
gebracht wurde. Ich hatte scharf darauf gesehen, wen-
dete mich um und blickte zufällig in einen offenstehenden
Kohlenschoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild
schwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick
von der dunkeln Oeffnung weg, nach dem hellen Bret-
terverschlag wendete, so erschien mir das Phänomen
halb grün, halb purpurfarben, je nachdem es einen
dunklern oder hellern Grund hinter sich hatte. Auf das
Abklingen dieser Erscheinung merkte ich damals nicht.

45.

Wie das Abklingen eines umschriebenen Glanzbil-
des verhält sich auch das Abklingen einer totalen Blen-

I. 2
43.

Dieſe beyden Verſuche laſſen ſich combiniren, wenn
man in einem maͤßig hellen Zimmer eine ſchwarze und
weiße Tafel neben einander hinſetzt und, ſo lange das
Auge den Lichteindruck behaͤlt, bald auf die weiße, bald
auf die ſchwarze Tafel ſcharf hinblickt. Man wird als-
dann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein gruͤnes Phaͤ-
nomen und ſo weiter das uͤbrige gewahr werden. Ja, wenn
man ſich geuͤbt hat, ſo laſſen ſich, indem man das ſchwe-
bende Phaͤnomen dahin bringt, wo die zwey Tafeln an
einander ſtoßen, die beyden entgegengeſetzten Farben zu-
gleich erblicken; welches um ſo bequemer geſchehen kann,
als die Tafeln entfernter ſtehen, indem das Spectrum
alsdann groͤßer erſcheint.

44.

Ich befand mich gegen Abend in einer Eiſenſchmie-
de, als eben die gluͤhende Maſſe unter den Hammer
gebracht wurde. Ich hatte ſcharf darauf geſehen, wen-
dete mich um und blickte zufaͤllig in einen offenſtehenden
Kohlenſchoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild
ſchwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick
von der dunkeln Oeffnung weg, nach dem hellen Bret-
terverſchlag wendete, ſo erſchien mir das Phaͤnomen
halb gruͤn, halb purpurfarben, je nachdem es einen
dunklern oder hellern Grund hinter ſich hatte. Auf das
Abklingen dieſer Erſcheinung merkte ich damals nicht.

45.

Wie das Abklingen eines umſchriebenen Glanzbil-
des verhaͤlt ſich auch das Abklingen einer totalen Blen-

I. 2
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[17/0071] 43. Dieſe beyden Verſuche laſſen ſich combiniren, wenn man in einem maͤßig hellen Zimmer eine ſchwarze und weiße Tafel neben einander hinſetzt und, ſo lange das Auge den Lichteindruck behaͤlt, bald auf die weiße, bald auf die ſchwarze Tafel ſcharf hinblickt. Man wird als- dann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein gruͤnes Phaͤ- nomen und ſo weiter das uͤbrige gewahr werden. Ja, wenn man ſich geuͤbt hat, ſo laſſen ſich, indem man das ſchwe- bende Phaͤnomen dahin bringt, wo die zwey Tafeln an einander ſtoßen, die beyden entgegengeſetzten Farben zu- gleich erblicken; welches um ſo bequemer geſchehen kann, als die Tafeln entfernter ſtehen, indem das Spectrum alsdann groͤßer erſcheint. 44. Ich befand mich gegen Abend in einer Eiſenſchmie- de, als eben die gluͤhende Maſſe unter den Hammer gebracht wurde. Ich hatte ſcharf darauf geſehen, wen- dete mich um und blickte zufaͤllig in einen offenſtehenden Kohlenſchoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild ſchwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick von der dunkeln Oeffnung weg, nach dem hellen Bret- terverſchlag wendete, ſo erſchien mir das Phaͤnomen halb gruͤn, halb purpurfarben, je nachdem es einen dunklern oder hellern Grund hinter ſich hatte. Auf das Abklingen dieſer Erſcheinung merkte ich damals nicht. 45. Wie das Abklingen eines umſchriebenen Glanzbil- des verhaͤlt ſich auch das Abklingen einer totalen Blen- I. 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/71>, abgerufen am 24.04.2024.