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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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abnehmende Tageslicht stelle man einen Bleystift auf-
recht, so daß der Schatten, welchen die Kerze wirft,
von dem schwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufge-
hoben werden kann, und der Schatten wird von dem
schönsten Blau erscheinen.

66.

Daß dieser Schatten blau sey, bemerkt man also-
bald; aber man überzeugt sich nur durch Aufmerksam-
keit, daß das weiße Papier als eine röthlich gelbe Flä-
che wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im
Auge gefordert wird.

67.

Bey allen farbigen Schatten daher muß man auf
der Fläche, auf welche er geworfen wird, eine erregte
Farbe vermuthen, welche sich auch bey aufmerksamerer
Betrachtung wohl erkennen läßt. Doch überzeuge man
sich vorher durch folgenden Versuch.

68.

Man nehme zu Nachtzeit zwey brennende Kerzen
und stelle sie gegen einander auf eine weiße Fläche;
man halte einen dünnen Stab zwischen beyden aufrecht,
so daß zwey Schatten entstehen; man nehme ein farbi-
ges Glas und halte es vor das eine Licht, also daß die
weiße Fläche gefärbt erscheine, und in demselben Au-
genblick wird der von dem nunmehr färbenden Lichte
geworfene, und von dem farblosen Lichte beleuchtete
Schatten die geforderte Farbe anzeigen.

abnehmende Tageslicht ſtelle man einen Bleyſtift auf-
recht, ſo daß der Schatten, welchen die Kerze wirft,
von dem ſchwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufge-
hoben werden kann, und der Schatten wird von dem
ſchoͤnſten Blau erſcheinen.

66.

Daß dieſer Schatten blau ſey, bemerkt man alſo-
bald; aber man uͤberzeugt ſich nur durch Aufmerkſam-
keit, daß das weiße Papier als eine roͤthlich gelbe Flaͤ-
che wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im
Auge gefordert wird.

67.

Bey allen farbigen Schatten daher muß man auf
der Flaͤche, auf welche er geworfen wird, eine erregte
Farbe vermuthen, welche ſich auch bey aufmerkſamerer
Betrachtung wohl erkennen laͤßt. Doch uͤberzeuge man
ſich vorher durch folgenden Verſuch.

68.

Man nehme zu Nachtzeit zwey brennende Kerzen
und ſtelle ſie gegen einander auf eine weiße Flaͤche;
man halte einen duͤnnen Stab zwiſchen beyden aufrecht,
ſo daß zwey Schatten entſtehen; man nehme ein farbi-
ges Glas und halte es vor das eine Licht, alſo daß die
weiße Flaͤche gefaͤrbt erſcheine, und in demſelben Au-
genblick wird der von dem nunmehr faͤrbenden Lichte
geworfene, und von dem farbloſen Lichte beleuchtete
Schatten die geforderte Farbe anzeigen.

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[28/0082] abnehmende Tageslicht ſtelle man einen Bleyſtift auf- recht, ſo daß der Schatten, welchen die Kerze wirft, von dem ſchwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufge- hoben werden kann, und der Schatten wird von dem ſchoͤnſten Blau erſcheinen. 66. Daß dieſer Schatten blau ſey, bemerkt man alſo- bald; aber man uͤberzeugt ſich nur durch Aufmerkſam- keit, daß das weiße Papier als eine roͤthlich gelbe Flaͤ- che wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im Auge gefordert wird. 67. Bey allen farbigen Schatten daher muß man auf der Flaͤche, auf welche er geworfen wird, eine erregte Farbe vermuthen, welche ſich auch bey aufmerkſamerer Betrachtung wohl erkennen laͤßt. Doch uͤberzeuge man ſich vorher durch folgenden Verſuch. 68. Man nehme zu Nachtzeit zwey brennende Kerzen und ſtelle ſie gegen einander auf eine weiße Flaͤche; man halte einen duͤnnen Stab zwiſchen beyden aufrecht, ſo daß zwey Schatten entſtehen; man nehme ein farbi- ges Glas und halte es vor das eine Licht, alſo daß die weiße Flaͤche gefaͤrbt erſcheine, und in demſelben Au- genblick wird der von dem nunmehr faͤrbenden Lichte geworfene, und von dem farbloſen Lichte beleuchtete Schatten die geforderte Farbe anzeigen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/82>, abgerufen am 24.04.2024.