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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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77.

Hier ist der Ort zu bemerken, daß es wahrschein-
lich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte
Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der for-
dernden Farbe erst recht afficirt seyn, ehe die gefor-
derte lebhaft bemerklich wird.

78.

Wenn Taucher sich unter dem Meere befinden und
das Sonnenlicht in ihre Glocke scheint, so ist alles Be-
leuchtete, was sie umgiebt, purpurfarbig (wovon künf-
tig die Ursache anzugeben ist); die Schatten dagegen sehen
grün aus. Eben dasselbe Phänomen, was ich auf ei-
nem hohen Berge gewahr wurde (75.), bemerken sie
in der Tiefe des Meers, und so ist die Natur mit
sich selbst durchaus übereinstimmend.

79.

Einige Erfahrungen und Versuche, welche sich
zwischen die Capitel von farbigen Bildern und von far-
bigen Schatten gleichsam einschieben, werden hier nach-
gebracht.

Man habe an einem Winterabende einen weißen
Papierladen inwendig vor dem Fenster eines Zimmers;
in diesem Laden sey eine Oeffnung, wodurch man den
Schnee eines etwa benachbarten Daches sehen könne;
es sey draußen noch einigermaßen dämmrig und ein
Licht komme in das Zimmer; so wird der Schnee durch
die Oeffnung vollkommen blau erscheinen, weil nehm-
lich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefärbt wird.

77.

Hier iſt der Ort zu bemerken, daß es wahrſchein-
lich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte
Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der for-
dernden Farbe erſt recht afficirt ſeyn, ehe die gefor-
derte lebhaft bemerklich wird.

78.

Wenn Taucher ſich unter dem Meere befinden und
das Sonnenlicht in ihre Glocke ſcheint, ſo iſt alles Be-
leuchtete, was ſie umgiebt, purpurfarbig (wovon kuͤnf-
tig die Urſache anzugeben iſt); die Schatten dagegen ſehen
gruͤn aus. Eben daſſelbe Phaͤnomen, was ich auf ei-
nem hohen Berge gewahr wurde (75.), bemerken ſie
in der Tiefe des Meers, und ſo iſt die Natur mit
ſich ſelbſt durchaus uͤbereinſtimmend.

79.

Einige Erfahrungen und Verſuche, welche ſich
zwiſchen die Capitel von farbigen Bildern und von far-
bigen Schatten gleichſam einſchieben, werden hier nach-
gebracht.

Man habe an einem Winterabende einen weißen
Papierladen inwendig vor dem Fenſter eines Zimmers;
in dieſem Laden ſey eine Oeffnung, wodurch man den
Schnee eines etwa benachbarten Daches ſehen koͤnne;
es ſey draußen noch einigermaßen daͤmmrig und ein
Licht komme in das Zimmer; ſo wird der Schnee durch
die Oeffnung vollkommen blau erſcheinen, weil nehm-
lich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefaͤrbt wird.

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[34/0088] 77. Hier iſt der Ort zu bemerken, daß es wahrſchein- lich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der for- dernden Farbe erſt recht afficirt ſeyn, ehe die gefor- derte lebhaft bemerklich wird. 78. Wenn Taucher ſich unter dem Meere befinden und das Sonnenlicht in ihre Glocke ſcheint, ſo iſt alles Be- leuchtete, was ſie umgiebt, purpurfarbig (wovon kuͤnf- tig die Urſache anzugeben iſt); die Schatten dagegen ſehen gruͤn aus. Eben daſſelbe Phaͤnomen, was ich auf ei- nem hohen Berge gewahr wurde (75.), bemerken ſie in der Tiefe des Meers, und ſo iſt die Natur mit ſich ſelbſt durchaus uͤbereinſtimmend. 79. Einige Erfahrungen und Verſuche, welche ſich zwiſchen die Capitel von farbigen Bildern und von far- bigen Schatten gleichſam einſchieben, werden hier nach- gebracht. Man habe an einem Winterabende einen weißen Papierladen inwendig vor dem Fenſter eines Zimmers; in dieſem Laden ſey eine Oeffnung, wodurch man den Schnee eines etwa benachbarten Daches ſehen koͤnne; es ſey draußen noch einigermaßen daͤmmrig und ein Licht komme in das Zimmer; ſo wird der Schnee durch die Oeffnung vollkommen blau erſcheinen, weil nehm- lich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefaͤrbt wird.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/88>, abgerufen am 23.04.2024.