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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Betrachtungen
über

Farbenlehre und Farbenbehandlung
der Alten.

Wie irgend Jemand über einen gewissen Fall denke,
wird man nur erst recht einsehen, wenn man weiß, wie
er überhaupt gesinnt ist. Dieses gilt, wenn wir die
Meynungen über wissenschaftliche Gegenstände, es sey
nun einzelner Menschen oder ganzer Schulen und Jahr-
hunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher ist
die Geschichte der Wissenschaften mit der Geschichte der
Philosophie innigst verbunden, aber eben so auch mit
der Geschichte des Lebens und des Charakters der In-
dividuen, so wie der Völker.

So begreift sich die Geschichte der Farbenlehre
auch nur in Gefolg der Geschichte aller Naturwissen-
schaften. Denn zur Einsicht in den geringsten Theil ist
die Uebersicht des Ganzen nöthig. Auf eine solche Be-
handlung können wir freylich nur hindeuten; indessen
wenn wir unter unsern Materialien manches mit ein-
führen, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehören
scheint; so ist ihm doch eigentlich nur deßwegen der
Platz gegönnt, um an allgemeine Bezüge zu erinnern,

Betrachtungen
uͤber

Farbenlehre und Farbenbehandlung
der Alten.

Wie irgend Jemand uͤber einen gewiſſen Fall denke,
wird man nur erſt recht einſehen, wenn man weiß, wie
er uͤberhaupt geſinnt iſt. Dieſes gilt, wenn wir die
Meynungen uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, es ſey
nun einzelner Menſchen oder ganzer Schulen und Jahr-
hunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher iſt
die Geſchichte der Wiſſenſchaften mit der Geſchichte der
Philoſophie innigſt verbunden, aber eben ſo auch mit
der Geſchichte des Lebens und des Charakters der In-
dividuen, ſo wie der Voͤlker.

So begreift ſich die Geſchichte der Farbenlehre
auch nur in Gefolg der Geſchichte aller Naturwiſſen-
ſchaften. Denn zur Einſicht in den geringſten Theil iſt
die Ueberſicht des Ganzen noͤthig. Auf eine ſolche Be-
handlung koͤnnen wir freylich nur hindeuten; indeſſen
wenn wir unter unſern Materialien manches mit ein-
fuͤhren, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehoͤren
ſcheint; ſo iſt ihm doch eigentlich nur deßwegen der
Platz gegoͤnnt, um an allgemeine Bezuͤge zu erinnern,

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[107/0141] Betrachtungen uͤber Farbenlehre und Farbenbehandlung der Alten. Wie irgend Jemand uͤber einen gewiſſen Fall denke, wird man nur erſt recht einſehen, wenn man weiß, wie er uͤberhaupt geſinnt iſt. Dieſes gilt, wenn wir die Meynungen uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, es ſey nun einzelner Menſchen oder ganzer Schulen und Jahr- hunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher iſt die Geſchichte der Wiſſenſchaften mit der Geſchichte der Philoſophie innigſt verbunden, aber eben ſo auch mit der Geſchichte des Lebens und des Charakters der In- dividuen, ſo wie der Voͤlker. So begreift ſich die Geſchichte der Farbenlehre auch nur in Gefolg der Geſchichte aller Naturwiſſen- ſchaften. Denn zur Einſicht in den geringſten Theil iſt die Ueberſicht des Ganzen noͤthig. Auf eine ſolche Be- handlung koͤnnen wir freylich nur hindeuten; indeſſen wenn wir unter unſern Materialien manches mit ein- fuͤhren, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehoͤren ſcheint; ſo iſt ihm doch eigentlich nur deßwegen der Platz gegoͤnnt, um an allgemeine Bezuͤge zu erinnern,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/141>, abgerufen am 29.03.2024.